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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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sich abgeschlossenen Stadt, in der nichts verborgen bleiben konnte, täuschte sich niemand über das von der Gemeinde gezeigte «Beispiel». Und um eine richtige Vorstellung von der erwähnten Ruhe und Besonnenheit zu bekommen, brauchte man nur in eine der Quarantänestationen oder eines der Isolierlager zu gehen, die die Behörden eingerichtet hatten. Es ist so, dass der anderswo eingesetzte Erzähler sie nicht kennengelernt hat. Deshalb kann er hier nur Tarrous Aussagen zitieren.
    Tarrou berichtet nämlich in seinen Aufzeichnungen von einem Besuch, den er mit Rambert in dem im städtischen Stadion eingerichteten Lager machte. Das Stadion liegt beinah an den Stadttoren und grenzt auf der einen Seite an die Straße, durch die die Straßenbahnen fahren, und auf der anderen Seite an unbebautes Gelände, das sich bis zum Rand der Hochebene hinzieht, auf der die Stadt liegt. Es ist wie üblich von hohen Zementmauern umgeben, und es brauchten nur Wachen an den vier Eingängen aufgestellt zu werden, um eine Flucht zu erschweren. Genauso verhinderten die Mauern, dass die Leute von außen die unglücklichen in Quarantäne Gehaltenen mit ihrer Neugier belästigten. Dafür hörten diese den ganzen Tag lang die vorbeifahrenden Straßenbahnen, ohne sie zu sehen, und errieten an dem stärkeren Geratter, das die Bahnen begleitete, den Beginn und das Ende der Büroarbeitszeit. So wussten sie, dass das Leben, von dem sie ausgeschlossen waren, ein paar Meter von ihnen entfernt weiterging, dass die Zementmauern zwei Welten trennten, die einander so fremd waren, als lägen sie auf verschiedenen Planeten.
    Tarrou und Rambert wählten einen Sonntagnachmittag, um in das Stadion zu gehen. Sie wurden von Gonzalès, dem Fußballspieler, begleitet, den Rambert wieder getroffen hatte und der schließlich eingewilligt hatte, schichtweise die Überwachung des Stadions zu leiten. Rambert sollte ihn dem Verwalter des Lagers vorstellen. Als sie sich trafen, hatte Gonzalès den beiden Männern gesagt, vor der Pest habe er sich um diese Zeit für sein Spiel umgezogen. Jetzt, wo die Stadien beschlagnahmt waren, war es nicht mehr möglich, und Gonzalès fühlte sich völlig unbeschäftigt und sah auch so aus. Das war einer der Gründe, weshalb er die Überwachung angenommen hatte, unter der Bedingung, dass er sie nur am Wochenende ausüben musste. Der Himmel war halb bedeckt, und mit erhobenem Gesicht machte Gonzalès bekümmert darauf aufmerksam, dass dieses weder regnerische noch heiße Wetter für eine gute Partie am günstigsten sei. So gut er konnte, beschrieb er den Geruch nach feuchtwarmen Ausdünstungen in den Umkleideräumen, die morschen Tribünen, die Trikots in leuchtenden Farben auf dem fahlroten Spielfeld, die Zitronen in der Halbzeit oder die Limonade, die die ausgetrockneten Kehlen mit tausend erfrischenden Nadeln sticht. Tarrou notiert übrigens, dass der Spieler auf dem ganzen Weg durch die aufgeweichten Straßen der Vorstadt unablässig nach den Steinen trat, die ihm vor die Füße kamen. Er versuchte, sie geradewegs in die Kanalabflüsse zu schießen, und wenn es ihm gelang, sagte er: «Eins zu null.» Als er seine Zigarette zu Ende geraucht hatte, spuckte er die Kippe vor sich aus und versuchte, sie im Flug mit dem Fuß abzufangen. In der Nähe des Stadions schossen spielende Kinder einen Ball zu der vorbeigehenden Gruppe hin, und Gonzalès machte sich die Mühe, ihn präzise zurückzuschießen.
    Schließlich betraten sie das Stadion. Die Tribünen waren voller Leute. Aber das Spielfeld war mit mehreren hundert roten Zelten vollgestellt, in denen man von weitem Betten und Bündel sah. Die Tribünen waren so gelassen worden, damit die Internierten bei Hitze oder Regen Schutz fanden. Sie sollten erst bei Sonnenuntergang in die Zelte zurückkehren. Unter den Tribünen befanden sich die neu eingerichteten Duschen und die ehemaligen Umkleideräume der Spieler, die man in Büros und Krankenzimmer umgewandelt hatte. Die meisten Internierten saßen auf den Tribünen. Andere irrten am Rand des Spielfelds umher. Einige hockten im Eingang ihres Zelts und ließen einen leeren Blick über alles wandern. Auf den Tribünen saßen viele zusammengesunken da und schienen zu warten.
    «Was tun sie tagsüber?», fragte Tarrou Rambert.
    «Nichts.»
    Tatsächlich saßen fast alle mit hängenden Armen und leeren Händen da. Diese riesige Ansammlung von Männern war merkwürdig still.
    «In den ersten Tagen verstand man hier sein eigenes Wort nicht»,

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