Die Pest zu London
unbeschreiblichen Überraschung die Zeichen an sich auftreten sahen; und danach lebten sie selten noch sechs Stunden, denn diese Flecken, wie sie die Zeichen nannten, waren in Wirklichkeit die Schwärzungen des Brandes oder abgestorbenes Fleisch in kleinen Knäufen, so groß wie ein Silberpenny und so hart wie ein Stück Schwiele oder Hörn; so daß, wenn die Krankheit erst so weit gediehen war, nichts mehr als nur der sichere Tod folgen konnte, und doch hatten sie, wie ich sagte, nichts davon gewußt, infiziert zu sein, und sich nicht einmal unpäßlich gefühlt, bis diese tödlichen Erkennungszei-chen sich bei ihnen einstellten. Aber jedermann muß zugeben, daß sie im hohen Grade vorher infiziert waren und es schon geraume Zeit gewesen sein mußten und daß folglich ihr Atem, ihr Schweiß, ja schon ihre Kleider viele Tage zuvor ansteckend gewirkt hatten.
Die große Vielfalt von Fällen, die so verliefen, mögen die Ärzte besser imstande sein, im Gedächtnis zu behalten als ich; aber einige kamen in den Bereich meiner Beobachtung oder meines Erzählenhörens, und ich will einige anführen.
Da war ein gewisser Mitbürger, der bis zum Monat September, wo das Schwergewicht der Seuche sich immer mehr auf die City verlagerte, unversehrt und unberührt gelebt hatte, und er war mächtig aufgeräumt und etwas zu stolz, so muß man es 249
wohl nennen, wenn er erzählte, wie wenig er sich fürchte, wie er sich immer vorgesehen habe, niemals einem, der die Krankheit hatte, nahe zu kommen. Sagte da ein anderer Bürger, einer seiner Nachbarn, eines Tages zu ihm:
»Seid Eurer Sache nicht zu sicher, Mister …; es ist schwer zu sagen, wer krank ist und wer gesund ist, sehen wir doch manchen in diesem Augenblick frisch und wohlauf dem äußeren Anschein nach, und eine Stunde drauf ist er tot.«
»Das stimmt«, sagte der erste Mann, denn er war nicht ver-messen in seinem Sicherheitsgefühl, sondern war nur so lange Zeit gut durchgekommen, und das hatte manchen, wie ich schon sagte, besonders in der City allmählich zu gleichgültig gemacht. »Das stimmt«, sagte er also; »ich glaube nicht, daß ich nichts zu befürchten habe, aber ich hoffe, daß ich mit niemand zusammen gewesen bin, der Gefahr hätte bringen können.« »Nein?« versetzte sein Nachbar. »Wart nicht Ihr vorgestern abend mit Mr. … zusammen in der Bullenkopf-Schenke in der Gnaden-Kirchen-Straße?« »Ja«, sagte der erste,
»das war ich; aber da war niemand, den wir vernünftigerweise für gefährlich hätten halten können.« Daraufhin sagte sein Nachbar nichts mehr, da er ihn nicht beunruhigen wollte; aber das machte den nur noch wißbegieriger, und je mehr sein Nachbar sich zurückhielt, um so ungestümer wurde er, und er geriet so sehr in Hitze, daß er laut sagte: »Nun, er wird doch nicht tot sein, oder?« Worauf sein Nachbar immer noch schwieg, aber einen Blick nach oben warf und etwas vor sich hin murmelte; da erbleichte der erste Mann und brachte nicht mehr hervor als: »Dann bin auch ich ein toter Mann«, und ging sogleich heim und schickte nach dem nächsten Apotheker, um sich ein vorbeugendes Mittel geben zu lassen, denn er hatte bislang noch nichts von Kranksein gespürt; aber der Apotheker, als er ihm das Hemd öffnete, stieß einen Seufzer aus und sagte nur noch: »Sei Gott Euch gnädig«, und der Mann starb in wenigen Stunden.
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Nun mag ein jeder, von einem Fall wie diesem ausgehend, selbst urteilen, ob es mit behördlichen Maßnahmen möglich ist, sei es durch Sperren von Häusern oder Fortschaffen der Kranken, einer Seuche Einhalt zu gebieten, die sich von Mensch zu Mensch fortpflanzt, und zwar auch dann, wenn einer sich vollkommen wohlfühlt und vielleicht viele Tage lang nichts von einem Krankwerden spürt.
Es mag hier am Platz sein zu fragen, wie lange man annehmen kann, daß einer den Keim der Ansteckung in sich hat, bevor sie sich auf ihre unselige Art offenbart, und wie lange einer umhergehen mag, dem Anschein nach ganz gesund, und dennoch allen, die ihm nahekommen, Ansteckung bringend.
Ich glaube, nicht einmal die erfahrensten Ärzte können auf diese Frage unumwundener antworten als ich es könnte; und vielleicht mag ein laienhafter Beobachter etwas wahrnehmen, was ihrer Beobachtung entgeht. Es scheint die Meinung der Ärzte im allgemeinen zu sein, daß die Krankheit in den Lebensgeistern schlafend liegt oder in den Blutgefäßen, und dort eine beträchtliche Zeit verbleibt.
Warum sonst verlangen sie von denen, die aus
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