Die Pest zu London
Beschreibung des elenden Zustands zu machen, in welchem sich zu der Zeit die City selbst und die Gegend, in der ich wohnte, befanden. Die City und diese anderen Stadtteile waren, ungeachtet der großen Zahl derer, die aufs Land gezogen waren, mit Menschen überfüllt, und vielleicht kam das daher, daß die Leute lange Zeit in dem festen Glauben gelebt hatten, in die City oder nach Southwark und auch nach Wapping oder Ratcliff werde die Pest gar nicht kommen; ja, so sicher fühlten sich die Leute in dem Punkt, daß viele aus den Vororten im Westen und Norden in diese östlichen und südlichen Bezirke umzogen, so als seien sie dort sicher, wodurch sie, wie mir 242
ausgemacht erscheint, die Pest dort hinbrachten, vielleicht früher, als sie sie sonst dort bekommen hätten.
Hier sollte ich auch zum Nutzen der Nachwelt eine weitere Bemerkung hinterlassen, betreffs der Art und Weise, wie die Leute einander ansteckten; es waren nämlich nicht nur die Kranken, von denen die andern, die noch gesund waren, die Krankheit unmittelbar empfingen, sondern oft auch solche, die sich wohlfühlten. Um mich näher zu erklären: Mit den Kranken meine ich diejenigen, welche als krank bekannt waren, sich zu Bett gelegt hatten, in ärztlicher Behandlung standen oder Geschwülste und Geschwüre am Leibe hatten und dergleichen; vor diesen konnte sich jeder in acht nehmen; sie lagen entweder im Bett oder befanden sich in einem Zustand, der nicht zu verheimlichen war.
Mit den sich Wohlfühlenden meine ich solche, die sich die Ansteckung geholt hatten und sie in sich und in ihrem Blute trugen, aber in ihrer äußeren Erscheinung keine Folgen davon sehen ließen; ja, sie waren vielleicht dessen selbst nicht gewahr, wie viele es tagelang nicht waren. Diese atmeten überall und auf jeden, dem sie nahekamen, den Tod aus; ja, selbst ihre Kleider enthielten die Ansteckung, ihre Hände konnten die Dinge, die sie anfaßten, infizieren, besonders wenn sie warm und schwitzig waren, und sie gerieten gewöhnlich auch sehr leicht ins Schwitzen.
Bei diesen Leuten konnte man es nun unmöglich wissen, und manchmal wußten sie, wie gesagt, selbst nicht, daß sie infiziert waren. Diese Menschen waren es auch, die so häufig auf der Straße ohnmächtig wurden und umfielen; denn es kam oftmals vor, daß sie bis zum letzten draußen herumgingen, bis sie dann plötzlich in Schweiß ausbrachen, schwach wurden, sich an einer Tür niedersetzten und starben. Freilich nahmen sie, wenn sie sich so befanden, alle Kraft zusammen, um heim in ihre eigene Wohnung zu kommen, wo sie dann manchmal, gleich nachdem sie eingetroffen waren, verschieden; in anderen 243
Fällen liefen sie herum, bis sich die Zeichen an ihnen einstellten, merkten es aber dennoch selbst nicht und starben eine oder zwei Stunden nach ihrer Heimkunft, obwohl sie, solange sie draußen gewesen waren, sich wohlauf gefühlt hatten. Dies waren die gefährlichen Leute; dies waren die Leute, vor denen die Gesunden sich hätten fürchten sollen; aber es war freilich andererseits unmöglich, sie zu erkennen.
Und das ist der Grund, warum es bei einer Heimsuchung unmöglich ist, die Ausbreitung der Pest, auch bei der äußersten menschlichen Wachsamkeit, zu verhindern, daß es unmöglich ist, die Infizierten von den Gesunden zu unterscheiden und daß auch die Infizierten selbst es niemals mit Sicherheit wissen können. Ich kannte einen Mann, der den ganzen Pestsommer im Jahr 1665 hindurch sich in London frei herumbewegte und ein Gegengift oder Cordial mit sich führte, um es einzunehmen, wenn er sich in Gefahr glaubte, und er besaß ein Mittel, um die Gefahr zu erkennen oder um sich warnen zu lassen, wie ich es vorher und nachher nie wieder angetroffen habe. Wie weit man sich darauf verlassen kann, weiß ich nicht. Er hatte eine Wunde am Bein, und jedesmal wenn er unter Leute kam, die nicht ganz gesund waren, und die Ansteckung auf ihn eindrang, dann, sagte er, merkte er es an diesem Signal, nämlich daß die Wunde in seinem Bein zu brennen anfing und blaß und weiß aussah; sobald er sie dann brennen fühlte, war es Zeit für ihn, sich zu verabschieden oder sich durch Einnehmen seines Tranks zu feien, welchen er zu diesem Zweck stets bei sich trug. Nun stellte er, scheint es, recht häufig fest, daß seine Wunde zu brennen anfing, wenn er in Gesellschaft mit solchen war, die sich ganz gesund glaubten und die voreinander auch so erschienen; er aber pflegte dann sogleich aufzustehen und ganz offen zu sagen:
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