Die Pest zu London
»Freunde, hier ist jemand im Raum, der die Pest hat« und somit die Versammlung aufzuheben. Dies war in der Tat ein getreulicher Mahner für alle, daß diejenigen der Pest nicht entgehen werden, die in einer befallenen Stadt 244
mit jedermann ohne Unterschied Umgang pflegen, daß die Menschen sie haben, ohne es zu wissen, und daß sie sie ebenfalls weitergeben, ohne zu wissen, daß sie sie selbst haben; und unter diesem Gesichtspunkt ist es unzureichend, die Kranken von den Gesunden zu scheiden, wenn man nicht einen Fall zurückverfolgen kann, und auch alle die absondert, mit denen der Kranke jemals Umgang gehabt hat, auch schon zu der Zeit, bevor er selbst wußte, daß er krank war; aber niemand könnte sagen, wie weit man da zurückzugehen habe oder wo man aufhören könne; denn niemand weiß, wann oder wo oder wie er sich die Ansteckung zugezogen hat oder von wem.
Dies sehe ich als den Grund dafür an, daß soviel Leute davon sprachen, die Luft sei verdorben und verseucht und daß es nicht not tue achtzugeben, mit wem man Umgang habe, weil die Ansteckung ja in der Luft sei. Ich habe manchen in dieser Hinsicht völlig fassungslos vor Überraschung gesehen. »Ich bin niemals irgendwem nahe gekommen, der die Seuche hatte«, hieß es dann bestürzt »ich habe mit niemandem als mit lauter blühend gesunden Menschen verkehrt, und trotzdem habe ich die Pest bekommen!« »Es muß mich bestimmt vom Himmel getroffen haben«, sagt ein anderer und sieht es von ernsterer Seite. Und der erste beteuert weiter: »Ich bin nie der Pest oder einem Pestkranken nahe gekommen; es muß gewiß in der Luft sein. Wir nehmen den Tod in uns auf, wenn wir atmen, und darum ist es der Wille Gottes; man kann sich dem nicht widersetzen.« Und dies veranlaßte zuletzt viele Leute, als sie erst an die Gefahr gewöhnt waren, weniger besorgt zu sein und gegen Ende und zur Zeit des Höhepunktes auch weniger Vorsicht anzuwenden als zu Anfang. Sie pflegten dann mit einer Art türkischem Vorherbestimmungsglauben zu sagen, wenn es Gott gefalle, sie zu treffen, dann sei es ganz einerlei, ob sie hinausgingen oder zu Hause blieben; sie könnten doch nicht davonkommen, und deswegen gingen sie unbedacht herum, sogar in befallene Häuser und unter erkrankte Freunde; 245
besuchten die Kranken und, kurz gesagt, schliefen im gleichen Zimmer mit ihren Frauen und Verwandten, auch wenn sie infiziert waren. Und was war die Folge?
Genau das gleiche, was in der Türkei die Folge ist und in all den Ländern, in denen sie sich so verhalten, nämlich daß sie ebenfalls angesteckt wurden und zu Hunderten und Tausenden starben.
Fern sei es mir, die rechte Furcht vor Gottes Strafgerichten herabzumindern und die Ehrerbietung gegen Seine Vorsehung, denn solcher Gesinnung sollen wir uns stets befleißigen, wenn eine Gelegenheit dazu ruft wie diese. Zweifellos ist eine Heimsuchung in sich ein Schlag vom Himmel für die Stadt oder das Land oder das Volk, die getroffen werden; eine Botschafterin Seiner Rache und ein lauter Ruf an jenes Volk oder Land oder Stadt, sich zu demütigen und Buße zu tun, entsprechend jenem Wort des Propheten Jeremias (VIII, 7-8):
»Plötzlich rede ich wider ein Volk und Königreich, daß ich es ausrotten, zerbrechen und verderben wolle. Wo sichs aber bekehrt von seiner Bosheit, dawider ich rede, so soll mich auch reuen das Unglück, das ich ihm gedachte zu tun.« Und gerade um den Gemütern der Menschen die Furcht Gottes, wie sie sich solchen Fügungen gegenüber gehört, einzuprägen, nicht aber um sie zu vermindern, habe ich in diesen Aufzeichnungen das Vergangene festgehalten.
Ich sage darum, ich will niemandem die Achtung versagen, weil er die Ursache dieser Geschehnisse unmittelbar in die Hand Gottes verlegt und in den Willen und die Absicht Seiner Vorsehung; nein, im Gegenteil, es gab viele wunderbare Bewahrungen vor der Seuche und Heilungen von Personen, die schon befallen waren, und dies deutet in den betreffenden Einzelfällen auf eine einzigartige und außergewöhnliche Führung durch die Vorsehung, und ich betrachte meine eigene Gesunderhaltung als beinahe ein Wunder und zeichne sie mit aller Dankbarkeit auf.
Aber wenn ich von der Pest als von einem körperlichen Übel 246
spreche, das von natürlichen Ursachen herrührt, dann müssen wir auch seine Verbreitung so ins Auge fassen, wie sie tatsächlich durch natürliche Mittel geschieht; und die Pest ist ja auch deshalb nicht weniger ein Strafgericht, weil sie dem Zusammenhang
Weitere Kostenlose Bücher