Die Pest zu London
abzusondern; und wo sie das frühzeitig getan hatten und klug genug gewesen waren, sich so mit Lebensmitteln zu versehen, daß sie nicht genötigt waren, zum Einkaufen an Land zu gehen oder jemand mit Lieferungen an Bord kommen zu lassen – ich sage, wo sie das getan hatten, da waren sie bestimmt am allersichersten von allen aufgehoben; aber der Schreck war so 147
groß, daß die Leute in ihrer Angst an Bord rannten ohne Brot zum Essen, und manche auf Schiffe, auf denen keine Besatzung war, die das Schiff hätte fortbewegen oder in einem Ruderboot hätte den Fluß hinabfahren können, um einzukaufen, wo man das ungefährdet tun konnte, und diese hatten zu leiden und wurden an Bord ebenso angesteckt wie an Land.
Wie die Reicheren auf Schiffe gingen, so machten sich die weniger Bemittelten auf die Kähne, Schaluppen, Hafen- und Fischerboote; und viele, besonders Fährleute, schliefen in ihren Booten; aber für sie wirkte es sich nicht so glücklich aus, besonders für die letzteren nicht, denn da sie um Proviant herumzufahren hatten und vielleicht dadurch, daß sie ihren Lebensunterhalt verdienen mußten, drang die Seuche unter ihnen ein und hielt eine furchtbare Ernte; viele der Fährleute starben allein in ihren Fährbooten, während sie auf einer Fahrt unterwegs waren, manche auf Deck, manche in der Kajüte, und wurden erst gefunden, als sie bereits in einem Zustand waren, in dem niemand sie anfassen oder ihnen nahekommen konnte.
Wirklich, das Schicksal der Menschen in diesem Seefahrts-viertel war sehr beklagenswert und verdiente das größte Mitgefühl. Aber ach! dies war eine Zeit, wo jedermann so sehr um seine eigene Sicherheit besorgt war, daß keiner Mitleid für die Nöte der anderen übrig hatte; denn jeder hatte den Tod sozusagen vor der Tür stehen, und bei vielen war er schon im Haus, und sie wußten nicht, was sie tun oder wohin sie fliehen sollten.
Dies, sage ich, löschte alles Mitgefühl aus; Selbsterhaltung schien in der Tat das einzige Gesetz zu sein. Denn Kinder liefen von ihren Eltern fort, wenn die in äußersten Qualen dahinsiechten. Und manchmal, wenn auch nicht so häufig wie umgekehrt, taten Eltern das gleiche ihren Kindern an; ja, einige gräßliche Beispiele gab es, einmal waren es gar zwei in einer Woche, daß Mütter, rasend und außer sich vor Pein, ihre eigenen Kinder töteten; eine davon war nicht weit weg von meiner Wohnung, und das arme wahnverblendete Geschöpf 148
lebte nicht einmal so lange, um sich bewußt zu werden, welche Sünde sie begangen hatte, geschweige denn, um dafür die Strafe zu empfangen.
Man darf sich allerdings nicht zu sehr wundern, denn die unmittelbar drohende Gefahr für unser Leben ertötete alle Innigkeit der Liebe, jedes Gefühl des Umeinanderbekümmert-seins. Ich spreche im allgemeinen, denn es gab viele Beispiele von Zuneigung, Mitleiden und Pflichtbewußtsein, die unerschüttert blieben, und mit einigen davon wurde ich näher bekannt, das heißt, vom Hörensagen; denn für die Wahrheit der Einzelheiten kann ich die Bürgschaft nicht übernehmen.
Um eines dieser Beispiele anzuführen, möchte ich zunächst darauf hinweisen, daß in der ganzen Notzeit zu den bedau-ernswertesten Betroffenen die schwangeren Frauen gehörten, die, wenn die Stunde ihrer Wehen und der Niederkunft nahte, keinerlei Hilfe von irgend jemand finden konnten; weder Hebamme noch Nachbarsfrauen kamen zu ihrem Lager. Die meisten Hebammen waren tot, besonders die, die unter den Armen gewirkt hatten; und viele, von den angeseheneren Hebammen eigentlich alle, waren aufs Land geflohen; so war es beinahe unmöglich für eine Frau, die nicht einen unerhörten Preis bezahlen konnte, überhaupt eine Hebamme zu bekommen, die ihr beistand; und wenn sie eine bekommen konnte, dann war sie meist ein ungeschicktes und ganz unwissendes Geschöpf; und die Folge davon war, daß eine ungewöhnliche und übergroße Zahl von Frauen in die äußerste Bedrängnis geriet. Einige kamen nieder, und dann verdarb die Unerfahren-heit und Unwissenheit dieser Frauen, die nur vorgaben, Hebammen zu sein, alles. Zahllose Kinder, kann man sagen, wurden durch die gleiche, wenn auch unentschuldbarere Ignoranz gemordet, die vorgab, die Mutter retten zu wollen, was immer aus dem Kind wurde; und nur zu oft gingen auf diese Art sowohl Mutter wie Kind verloren; und wenn gar die Mutter die Seuche hatte, gab es niemanden, der zu ihr ging, 149
und dann kamen sie manchmal beide um. Bisweilen war die Mutter an der Pest
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