Die Pestärztin
hineinwerfen«, meinte Gunhild. »Du hast eine Ausrede, du willst nach der Schulter des Herrn Dietmar sehen. Wenn dann die Luft rein ist ...«
Lucia murmelte etwas von Tollkühnheit, machte sich dann aber gehorsam auf den Weg. In den Ställen herrschte reges Treiben, doch Herrn Bernhard konnte sie zunächst nicht ausmachen. Erst nach längerer Suche entdeckte sie ihn im Heulager. Er überprüfte den Sitz des abpolsternden Lederschutzes auf seiner Lanze.
Er überprüfte?
Lucia hatte ihn eben anrufen wollen, verhielt jetzt aber ihre Worte. Bernhard von Paring hatte die lederne Schutzkappe von seiner Lanze entfernt und schnitt mit einem Messer daran herum. Lucia mochte kaum glauben, was sie da sah, aber der Ritter höhlte das Leder aus: Statt eines dicken Schutzmantels, den die Schneide der Lanze nicht durchdringen konnte, lag nur noch eine dünne Haut über der Waffe. Wenn sie irgendwo gegenprallte, würde der Stahl das Leder mühelos durchstoßen.
Lucia stand wie erstarrt, während der Ritter die dünne Hülle über die Lanzenspitze zog. Von außen war nichts zu erkennen. Der Ritter richtete sich entschlossen auf und fand sich unversehens Lucia gegenüber. Er sah direkt in die schreckerstarrten blauen Augen, senkte den Blick aber nicht.
»Ich tue, was ich muss«, sagte er leise.
Lucia nickte. »Ich werde Euch nicht hindern.«
Gunhild verstand nicht, warum Lucia sie nicht nur vom Stallzelt wegdrängte, sondern auch noch zurück zum Ehrenpavillon schob.
»Wir sollten zusehen!«, sagte sie entschlossen. »Egal was geschieht. Er sollte dabei nicht allein sein ...«
Gunhild begriff nicht, was Lucia meinte, schluckte aber gehorsam den schweren roten Wein, den sie ihr aufdrängte, als sie beide am Verpflegungszelt vorbeikamen.
»Ich werde bei meiner Hochzeit betrunken sein«, flüsterte sie, als Lucia den Becher noch einmal füllte.
»Umso besser.« Lucia nahm ebenfalls einen Schluck. Nie zuvor hatte sie das Vergessen, das angeblich im Wein verborgen lag, so sehr gebraucht.
Die Ritter verbeugten sich vor den Herzögen, kaum dass die Mädchen zurück auf die Ehrentribüne kamen. Die Herzoginmutter warf den beiden einen fragenden Blick zu, hatte dann aber nur noch Augen für die Ritter.
Dietmar lachte Lucia schon wieder mutwillig zu. Bernhard verschlang Gunhild mit Blicken. Er flüsterte irgendetwas, ehe er sich abwandte und das Visier über sein totenblasses Gesicht zog. Jerome de la Bourgogne ließ sein Pferd elegant auf der Hinterhand herumspringen.
Weder der junge Franzose noch Dietmar schienen irgendetwas zu wissen.
Bernhard setzte sich an die Spitze ihres Trupps, hinter ihm seine Freunde und zwanzig andere junge Ritter.
Die Führung des zweiten Trupps hatte traditionell der Sieger des Tjostes. Birger Knutson und Bernhard von Paring ritten gegeneinander an.
Der Däne schien dabei deutlich im Vorteil zu sein. Nicht nur, dass er stärker war als Bernhard, er ritt auch noch das deutlich größere Pferd, einen gewaltigen schwarz-weißen Streithengst.
Lucias Herz schlug heftig. Wahrscheinlich würde Birger von Skaane Gunhilds jungen Ritter zuerst treffen und gleich vom Pferd tjosten. Dann würde gar nichts geschehen ...
Doch Bernhard von Paring überließ nichts dem Zufall. Er hob den Arm, der die Lanze hielt, holte Schwung und warf die Waffe wie ein maurischer Krieger. Und er traf.
Die Lanze durchstieß Herrn Dankwarts Rüstung im Übergang zwischen Helm und Brustpanzer. Hier hätte das Kettenhemd, das der Ritter darunter trug, den Schwung der abgepolsterten Waffe eigentlich bremsen müssen. Vielleicht wäre der Ritter gestürzt, hätte kurz unter Atemnot leiden können. Aber so ...
Lucia hörte Gunhild neben sich aufschreien. Auch auf den weiteren Tribünen brach Tumult aus, als sich jetzt ein Blutstrom aus Herrn Birgers Hals ergoss. Der Ritter, der mit einer solchen Attacke absolut nicht gerechnet hatte, ließ seine Lanze fallen, griff sich wie ungläubig an den Hals und taumelte. Er stürzte vom Pferd, während der Hengst weitergaloppierte. Sein Körper zuckte, doch er hauchte schon sein Leben aus, als der erste Herold ihn erreichte und versuchte, seinen Helm zu lösen.
Bernhard von Paring hatte sein Pferd verhalten und war abgesprungen; nun kniete er scheinbar fassungslos neben dem Gestürzten. Um die Männer herum tobte noch der Kampf. Kaum einer der beteiligten Ritter hatte mitbekommen, was geschehen war.
»Wie konnte das passieren?« Der Herzog auf der Tribüne fand wieder Worte. »Die Waffen
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