Die Pestärztin
der Mäuler stopfen! Aber das darf deine unsterbliche Seele nicht gefährden. Von jetzt an kommst du jeden Freitag nach der Vesper zu mir, und ich werde dich in unserem Glauben unterweisen. Ich werde dich auch prüfen, Lucia, und jede Sünde unnachgiebig strafen!« Dabei fuhr er dem Mädchen über die Wange, eine Geste, die väterlich wirken sollte, Lucia aber unangenehm berührte und eine unbestimmte Angst in ihr weckte. Sie fühlte sich auch nach wie vor nicht wohl und litt unter heftigen Leibschmerzen, als sie ins Haus der Speyers zurückkam.
Auf das Angebot des Pfarrers hin hatte sie nur nicken können. Und Al Shifas Gesichtsausdruck bei ihrem Bericht trug auch nicht dazu bei, dass sie sich sicherer fühlte.
»Unterweisen will er dich?«, fragte die Maurin spöttisch. »Oh, ich kann mir gut denken, in welcher Kunst! Wir hätten einen weiten Kittel für dich wählen sollen, Kind, kein Kleid wie dieses. Wer hat euch bloß erlaubt, den Ausschnitt so tief zu legen? Kaum lässt man euch Mädels selbst schneidern, da werdet ihr schamlos! Die Herrin hat Lea auch schon zusammengestaucht. Aber gut, es hätte dir wahrscheinlich auch nicht geholfen, wärest du in Sack und Asche vor diesen Herrn getreten. Dein Haar und deine Augen genügen, um ihn zu reizen. Es hat schon etwas für sich, dass wir Frauen in meinem Land angehalten werden, uns zu verschleiern!«
»Aber warum denn?«, fragte Lucia unsicher und versuchte, eine Haltung zu finden, in der ihr Leib nicht schmerzte. Außerdem zupfte sie am Ausschnitt ihres Kleides herum, eines eng anliegenden, ziemlich weit ausgeschnittenen Gewandes nach neuester Mode. Lea hatte Abbildungen dieser Kleider gesehen, und die Mädchen hatten sie nachgeschneidert. »Er wird den Katechismus abfragen, und den kann ich doch.«
Plötzlich wurde Lucia schwarz vor Augen. Sie tastete nach einem Halt, fühlte sich von Al Shifa umfangen - und ließ sich in ihre Umarmung fallen. Als sie wieder wach wurde, lag sie auf einem Diwan in Sarahs privaten Räumen. Sarah schätzte dieses orientalische Möbel sehr, und die Mädchen waren sonst angehalten, es schonend zu behandeln und nicht darauf herumzutollen. Jetzt aber hatte man Lucia darauf niedergelegt und ihr Kleid sowie das eng geschnürte Hemd darunter gelöst.
Lucia setze sich unsicher auf. Al Shifa bot ihr einen Tee an.
»Mach dir keine Sorgen, Liebes, du bist nicht krank!«, nahm sie ihre Frage vorweg. »Du hast dir nur den ungünstigsten Moment ausgesucht, zur Frau zu reifen. Es ist beinahe so, als hätte dieser Pfaffe dich verhext!«
Von nun an blutete auch Lucia jeden Monat und fühlte sich sehr wichtig in ihrem neuen Status als junge Frau. Gemeinsam mit Lea registrierte sie jede Veränderung ihrer Körper und freute sich, als ihre Brüste zu schwellen begannen und ihre Hüften sich rundeten. Al Shifa schien das jedoch eher mit Sorge zu betrachten. Besonders am Freitag, bevor sie Lucia zum »Beten« schickte, wies sie das Mädchen an, Leinenbinden um ihre Brust zu winden, um den Busen zu verstecken. Sie gab ihr weite Kleider und große Hauben, die ihr Gesicht fast so versteckten wie ein Nonnenschleier.
Dabei trat ihr der Pfarrer nur selten zu nahe. Meist fragte er nur den Katechismus ab und las Lucia aus der Bibel vor. Anscheinend war er der Ansicht, das Mädchen könne das nicht selbst. Natürlich rückte er ihr dabei manchmal so nahe, dass sein Bein unter der Kutte das ihre unter dem weiten Rock streifte, und oft war auch sein Atem an ihrer Wange fühlbar. Lucia hasste besonders Letzteres, da die Zähne des Priesters verfault waren und bestialisch stanken. Da war es ihr schon lieber, wenn er zum Abschied über ihre Wange oder ihre Schulter strich oder ein unsichtbares Kreuz auf ihre Stirn malte. Mehr kam jedoch nicht vor - und auch, wenn Lucia diese Annäherungen verhasst waren: Manchmal ließen sie ein seltsam sehnendes Gefühl in ihr erwachen. Mit einem Mann, den man gern hatte und dazu einlud, mochten »unzüchtige Handlungen« gar nicht so unangenehm sein.
Verstohlen sprach sie mit Lea darüber, die wissend nickte.
»Oh ja, es soll wundervoll sein, wenn ein Mann einem in Liebe beiwohnt. Das sagt zumindest meine Mutter. Und es gibt auch Gedichte in der Bibel. ›Siehe, meine Freundin, du bist schön ...‹ Das Hohelied Salomons! Wenn das mal ein Mann zu mir sagen würde!«
Lea warf ihr Haar zurück und blickte sehnsuchtsvoll. Sie wusste, dass die Speyers seit einiger Zeit nach einem Gatten für sie Ausschau hielten. In der
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