Die Pestärztin
die Mörder alle Schuld auf mich schoben. Ich floh aus der Stadt, ehe sie mich als Hexe anklagen konnten.«
Clemens zog sie an sich. »Auch ich habe Mainz verlassen«, erzählte er. »Ich habe mich nach Süden gewandt. Ich wollte nach Al Andalus. Deine Schriften und die Erzählungen des jüdischen Arztes hatten meinen Ehrgeiz geweckt, mehr über die Medizin des Orients zu erfahren. Aron von Greve war ein wunderbarer Mensch. Er hat sein Wissen freudig mit mir geteilt, auch dann noch, als er fast schon im Sterben lag. Er sprach Arabisch und konnte die Codices lesen. Das wollte ich auch lernen. Aber die Sprache ist zu schwer, und die Fronten zwischen Christen und Mohammedanern sind zu sehr verhärtet. Ich überquerte die Grenze mit ein paar jüdischen Kaufleuten, doch arabische Lehrer fand ich nicht, und ihre Schulen und Universitäten nehmen sowieso keine Christen auf. Schließlich arbeitete ich eine Zeitlang für einen jüdischen Medikus bei Granada. Er war aus Kastilien geflohen, weil Juden dort nicht mehr als Ärzte praktizieren dürfen. Die Arbeit mit ihm war sehr interessant, aber er war bereits schwer krank, als ich ihn kennen lernte. Ich pflegte ihn schließlich bis zu seinem Tod, dann kehrte ich heim.«
Lucia wusste, dass es nun an ihr war, zu erzählen. Sie lieferte Clemens eine verkürzte und vereinfachte Fassung ihrer Erlebnisse unter den Juden von Landshut.
»Im Grunde waren sie sehr gut zu mir. Selbst Abraham Kahlbach wollte mir nichts Böses, zumindest aus seiner Sicht. Ich hätte mich niemals zu dieser Hochzeit überreden lassen dürfen, aber nachdem mein Geld weg war, wusste ich nicht ein noch aus.«
Schließlich berichtete sie ausführlich von Elisabeths Geheimnis und ihrem Leben auf der Burg.
»Es ist seltsam, plötzlich einen Namen zu haben, eine Geschichte und obendrein eine Familie ... wobei ich auf meinen Onkel Conrad gut hätte verzichten können.« Lucia lachte, ehe sie fortfuhr: »Aber mein Großvater hat großen Eindruck auf mich gemacht. Du musst ihn unbedingt kennen lernen.«
Clemens küsste noch einmal ihr Haar, ehe er aufstand. »Es gibt auch noch die Familie von Treist«, neckte er sie, »die eine geborene von Bruckberg freudig willkommen heißen würde. Allerdings sind wir ziemlich arm. Du müsstest schon mehr Mitgift haben als bloß eine alte Handschrift!«
Lucia tat, als würde sie sich enttäuscht von ihm abwenden. »Tja, dann müssen wir uns wohl noch mal an den Herzog wenden und diese Ehe auflösen lassen«, scherzte sie. »Der Fraunberger wird mich um meiner selbst willen lieben!« Sie kicherte allein bei dem Gedanken, Wolfram Fraunberger könnte etwas wie Liebe für seine Gattin empfinden. »Komm jetzt, genug geplaudert. Ich werde dir deine Tochter vorstellen!«
Die Liebe der Herzogin
L ANDSHUT 1350
1
E lisabeths letzte Nachrichten über den Zustand des Adrian von Rennes waren so besorgniserregend, dass Clemens sich bereit erklärte, gleich am nächsten Tag das Kloster aufzusuchen und den Ritter zu untersuchen. Dabei bescherte Lucias neuer Stand beiden Frauen ungeahnte Freiräume. Lucia wartete der Herzogin am Morgen auf, während Clemens zurück in die Stadt ritt, um seine Sachen aus seinem Quartier zu holen. Er war bei Moses von Kahlbach untergekommen, und als er jetzt zurückkehrte, führte er ein ungewöhnliches »Packpferd« mit sich. Die gescheckte Maultierstute Pia trug die Taschen mit seinen Heilmitteln und chirurgischen Instrumenten.
»Wenn schon keine Mitgift, so doch wenigstens eine Morgengabe«, sagte er lächelnd, als er Lucia sein Geschenk überreichte. »Ich habe sie Reb Levin abgehandelt und lange mit ihm gesprochen. Er trägt dir nichts mehr nach. Und er meint, du hättest dieses Tier genau so geliebt, wie Lea es liebte. Stimmt das, oder hättest du lieber ein Pferd gehabt?«
Lucia umarmte ihn. »Ich bin hoffnungslos bürgerlich!« Sie lachte. »Frau Margarethe und ihre Damen werden sich die Mäuler über mich zerreißen, aber ich kann es nicht ändern! Auf jeden Fall hättest du mir keine größere Freude machen können. Und obendrein ist dies eine wunderbare Ausrede für den Ritt zum Kloster. Ich muss mein neues Reittier erproben!«
Niemand untersagte der Herzogin und ihrer Hofdame den Ausritt in den sonnigen Frühsommernachmittag. Dass Clemens sich anschloss, wurde eher verwundert vermerkt; an konventionellen Höfen war es nicht unbedingt üblich, dass Herren und Damen zum Vergnügen gemeinsam ausritten. An Minnehöfen geschah das eher,
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