Die Pestglocke
heilen«, sagte er. »Das war das, was ich Ihnen neulich Abend sagen wollte, als Finian kam. Aber wenigstens wissen wir jetzt, dass es mit ihrem Einverständnis geschah – und dass er sie nicht getötet hat. Die Ironie dabei ist natürlich, dass sie ihn mit einer Krankheit angesteckt hat, die ihn binnen Tagen umbrachte.«
»Ben Adelola sagte, ihm sei diese Praxis bekannt. Ich kann es fast nicht glauben.«
»Ich weiß, da, wo Ben und ich herkommen, das kann manchmal wie eine völlig andere Welt aussehen, nicht nur wie ein anderer Kontinent. Und es ist nicht krank und abartig, es ist krank und ignorant. Genau wie beim Schwarzen Tod im Mittelalter suchen die Leute Zuflucht bei bizarren Methoden.
Eine davon ist die Vergewaltigung minderjähriger Mädchen, häufig durch die eigenen Verwandten. Sie glauben, durch Sex mit einer Jungfrau würden sie von der Krankheit verschont bleiben oder von Aids geheilt werden, falls sie es schon haben, und so übertragen sie es auf ansonsten sexuell noch inaktive Mädchen. Ein Mitarbeiter der Aidshilfe hat mir erzählt, Jungfrauen im Teenageralter seien mittlerweile so schwer zu finden, dass sich die Männer an Mädchen von zehn Jahren oder darunter halten. Manchmal bezahlen sie ihren Eltern Geld dafür. Deshalb ist eine reife, unverheiratete Frau mit strenger Infibulation eine verlockende Aussicht für einen Mann, der nicht mit einem Kind schlafen will.«
»Aber es ist keine Garantie für Jungfräulichkeit, oder?«
»Theoretisch nein. Aber in der Praxis schon -bis zur Ehe, versteht sich. Weibliche Genitalverstümmelung existiert zum Teil, um eheliche Treue zu garantieren – verstümmelte Frauen neigen nicht zu wahllosem Verkehr, sowohl aus körperlichen Gründen als auch, weil es ihre Heiratssaussichten schmälern würde.«
»Sagen Sie – wäre Latifah irgendwann an ihrer Krankheit gestorben? Melioidosis, meine ich.«
»Unmöglich zu sagen. Wir wissen nicht, wie lange sie es schon hatte, woher sie es hatte und in welchem Stadium es sich befand, als sie Terry Johnston ansteckte. Aber die WHO wird sich ihren Fall genau ansehen. Melioidosis tritt in Nigeria zwar auf, aber sie ist nicht allzu häufig, deshalb wird man zunächst einmal das Gebiet überwachen, aus dem sie stammt. Wobei sie sich dort keineswegs angesteckt haben muss.«
»Sie meinen, sie könnte es sich hier geholt haben?«
»Oder irgendwo auf dem Weg. Es ist ein bisschen wie bei Ihren Pilgern – haben sie die Pest mitgebracht oder sich angesteckt, nachdem sie nach Castleboyne kamen?«
»Apropos Besucher – und um ein heitereres Thema anzuschlagen -, wieso sind Sie nicht unterwegs und erforschen das Nachtleben von Dublin?«
»Weil ich im Hotel geblieben bin und ferngesehen habe. Ich habe nämlich eine neue Seite in meinem Leben aufgeschlagen. Das macht Ihr guter Einfluss.«
»Ändern Sie sich bloß nicht meinetwegen.«
»Ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen. Was ich übrigens noch fragen wollte – wäre es Ihnen recht, wenn ich gelegentlich eine E-Mail schicke?«
»Bitte tun Sie das. Wollen Sie sich meine Adresse aufschreiben?«
»Nicht nötig. Ich habe sie schon von Peggy bekommen. Nur eins noch – was haben Sie mit der Reliquie gemacht?«
»Sie ist wieder dort, wo sie hingehört.«
Mein Vater starb am nächsten Morgen, während ich Richard vom Flughafen abholte. Es war der erste Juni.
In dem Moment, in dem Richard in die Ankunftshalle kam und ich sah, wie ähnlich er unserem Vater war, brachen alle Dämme. Die Gefühle, die seit Tagen nach einem Ausdruck gesucht hatten, fanden ihr Ventil. Und Richard verstand mich.
An diesem und dem folgenden Tag war Finian auf eine formelle und angestrengte Weise um mich bemüht, aber nach der Überführung nach St. Patrick am Sonntagabend beschloss ich, ein kurzes, aber konkretes Gespräch mit ihm zu führen. Das war, nachdem wir bei mir zu Hause stundenlang Fragen von Verwandten und Freunden nach unserer Hochzeit abgewehrt hatten. Als Finian aufbrach, folgte ich ihm nach draußen.
»Das kann so nicht weitergehen«, sagte ich. »Ich möchte, dass wir unsere Verlobung lösen.« Vielleicht weil ich bis dahin so viele Gefühle aufgewendet hatte, erwies ich mich nun als seltsam nüchtern in der ganzen Sache.
»Wenn es dein Wunsch ist«, sagte er und ließ den Motor seines Wagens an.
»Aber lass uns vorläufig nichts davon verlautbaren – es wäre nicht fair gegenüber meiner Mutter.«
»Einverstanden«, sagte er und fuhr ohne ein weiteres Wort davon.
Der
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