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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Die Nase, die Lippen, die Art, wie sie das Kinn reckte – alles war ihm bestens vertraut. Den schlanken Hals umschloss ein zerschlissenes Band, was ihr etwas Vornehmes verlieh.
    Aber nirgendwo ein langer Goldzopf. Das Haar reichte gerade in ihren Nacken, war blond und unregelmäßig, als hätte jemand es abgesäbelt.
    » Was machst du hier?«, wiederholte sie. » Leg sofort die Wäsche wieder zurück!«
    Seine Handflächen begannen zu jucken. Sollte er sein Messer herausziehen und auf der Stelle alles beenden? Alles in ihm sehnte sich danach.
    Aber warum vermochte er dann den rechten Arm plötzlich nicht mehr zu bewegen?
    » Wer bist du?« Sie schien keine Angst zu haben. » Wer hat dich hereingelassen?«
    Sie kam auf ihn zu und streckte die Hand aus. Um ihm die Maske herabzuziehen?
    Das konnte er nicht zulassen!
    Er versetzte ihr einen Stoß, der sie nach hinten taumeln ließ, und einen zweiten, stärkeren. Sie verlor das Gleichgewicht, fiel auf den Rücken.
    » Marusch!«, schrie sie. » Grit – zu Hilfe! Räuber!«
    Er packte die Deichsel des Leiterwagens und drängte sich an ihr vorbei. Eines der Räder rollte dabei über ihren Fuß.
    Wieder schrie sie, vor Wut und Schmerz. » Wo seid ihr denn? Helft mir doch …«
    Pestlumpen fielen heraus, so blindlings hastete er zur Tür, riss sie auf und zwängte den sperrigen Wagen hinaus.
    Dann begann er zu rennen, so schnell es das Gefährt erlaubte.

ACHT
    D ie anderen Pestmägde kamen erst angelaufen, nachdem der Dieb schon verschwunden war. Johannas Steiß tat von dem Sturz empfindlich weh, aber ihr Zorn über den Eindringling, der sie zu Boden gestreckt hatte, ließ sie alle Schmerzen vergessen.
    Bei ihren Befragungen kam sie nicht weit. Grit hatte in der Küche gesteckt, um nach der Suppe zu sehen, die übergekocht war, weil sie wieder einmal nicht aufgepasst hatte, und wollte nichts gesehen oder gehört haben. Marusch zuckte die Achseln und stellte sich dumm.
    » Irgendwie muss er hereingekommen sein«, sagte Johanna, die immer wütender wurde, weil sie genau wusste, dass eine von beiden log. » Wie ein Geist hat er jedenfalls nicht ausgesehen.«
    Der Mann mit der Maske war schlank gewesen, aber alles andere als ein Hänfling, denn sie hatte seine Kraft gespürt, als er sie gestoßen hatte. Und jung, verdammt jung sogar – sonst hätte er nicht so behände davonrennen können.
    Ungefähr in dem Alter, in dem …
    Sie verbot sich weiterzudenken. Jahrelang hatte sie heimlich mitgezählt und nach Kindern Ausschau gehalten, die sein Alter gehabt haben könnten, hatte Vergleiche angestellt, die die alten Wunden stets von Neuem aufgerissen hatten.
    Sie hatte niemals ein Kind geboren.
    Warum nur war es so schwer, daran zu glauben?
    Verdrossen gingen die drei wieder zurück an die Arbeit. Die Stimmung unter den Pestmägden war noch gereizter als sonst.
    Einzig Sabeth, offenbar gerade dabei, dem tiefen Tal der grauen Tage zu entrinnen, setzte ein vielsagendes Lächeln auf.
    » Die Dinge kommen zurück«, sagte sie, während sie Anderl dabei half aufzustehen. » Das Rad dreht sich, das ewige Rad. Du musst nur warten können.«
    Er klammerte sich an sie, wollte sie gar nicht mehr loslassen und weinte nach Mieze, die irgendwohin verschwunden war. Aber sie mussten ihn nach Hause schicken, weil sie sein Bett dringend für die nächsten Kranken brauchten, die schon um Einlass bettelten. In der Stadt schien sich herumzusprechen, dass nicht alle starben, die hier aufgenommen wurden, wenngleich die Zahl der Toten, die sie auf den Leichenwagen hieven mussten, nach wie vor erschreckend hoch war. Von einem der Kranken, der anfangs noch halbwegs hatte sprechen können, bevor das Fieber ihn in andere Welten entführte, hatten sie erfahren, dass zwei weitere Spitäler Kölns nun ebenfalls verpflichtet waren, Pestkranke aufzunehmen, doch Entlastung spürten sie keine.
    Die Tante, die Anderl hergebracht hatte, konnte ihn nicht mehr holen kommen, weil die Seuche sie in der Zwischenzeit hinweggerafft hatte. Zum Glück lebte noch sein Pate, ein knorriger Schuster mit freundlichen Augen, der den Jungen an der Pforte in Empfang nahm und künftig bei sich behalten wollte.
    Als die rote Tür sich hinter den beiden geschlossen hatte, schien es plötzlich noch dunkler im Haus geworden zu sein. Es war, als sei mit dem aufgeweckten Jungen auch die Hoffnung gegangen, die sie doch so dringend brauchten, um diese triste Zeit zu überstehen. Alles in Johanna sehnte sich danach, es Anderl nachzutun,

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