Die Pestmagd
schon mal.«
Eine kalte Hand schien nach Johanna zu greifen.
» Woher hast du das?«, fragte sie.
» Da wo ich herkomme, lernt man, Augen und Ohren offen zu halten, sonst übersteht man es nicht lange. Würde dir übrigens auch nicht schaden!« Sie schwenkte den Pisspott, den sie ausschütten sollte, so heftig, dass ein ordentlicher Schwall davon auf Johannas Pantinen schwappte. » Wer nämlich zu eifrig nach den Sternen greift, übersieht gerne den Kothaufen vor den eigenen Füßen.«
x
Der Vater war gestorben, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Grete Mechthus berichtete es ihrer Tochter, die mit aufgerissenen Augen zuhörte. Die Apothekerwitwe war abgemagert, ihre Haut wirkte grau, die Wangen waren brennend rot, als hätte sie sie mit Karmin übertüncht. Sie sah aus, als hätte sie selbst Fieber.
» Jetzt wird er dein Kind niemals sehen«, brachte sie stockend hervor. » Dabei wollte er ihm doch eines Tages alles übergeben!«
» Zwei«, murmelte Ennelin. » Es sind zwei, und sie wollen bald zur Welt kommen, das kann ich spüren. Wirst du bei mir sein, wenn es so weit ist?«
Grete schien sie gar nicht zu hören.
» Nicht einmal ein ordentliches Begräbnis hat er bekommen.« Ihre Stimme zitterte vor Empörung. » Auf diesen entsetzlichen Leichenkarren haben sie ihn geworfen, der Tag und Nacht durch die Gassen rattert – wie einen Sack verdorbenes Mehl. Er, der sein ganzes Leben dafür gesorgt hat, dass die Menschen wieder gesund werden, muss nun mit lauter Fremden in einer stinkenden Grube liegen!« Schluchzend sank sie ihrer Tochter in die Arme. » Am besten wäre es, sie legten mich gleich mit dazu. Was soll denn nun werden ohne ihn, der alles entschieden und geordnet hat? Solange er noch klar war, hat er für alles vorgesorgt. Auf die Bibel musste ich ihm versprechen, das Haus auszuräuchern und alles zu verbrennen, was er berührt hat. Einen ganzen Tag hat es gedauert, bis die Mägde damit fertig waren.«
» Kann Walter dir nicht weiterhelfen, der Vater immer wieder zur Hand gegangen ist?«, schlug Ennelin vor. » Er ist einer von uns, ein ehrlicher Mann, der Gottes Wort achtet. Und er kennt all die Kräuter und Arzneien. Er kann rühren, mörsern und mischen und weiß auch mit Kunden gut umzugehen. Dann müsstest du die Apotheke nicht zumachen …«
» Ja, wenn du nur ein Junge geworden wärst! Oder wenigstens Walter zum Mann genommen hättest! Er wollte dich schon, da warst du noch ein Kind – aber du hattest ja seit Jahr und Tag nichts anderes im Kopf als deinen verlebten katholischen Bader!«
Ennelin strich ihrer Mutter über den Kopf, um sie zu beruhigen, doch nichts wollte helfen. Der Schmerz Gretes war so bodenlos, dass für die Trauer der Tochter kein Raum schien. Und noch etwas behielt Ennelin lieber für sich: dass Ludwig ebenfalls unwohl war. Seit drei Tagen schon lag er im Bett, wollte nichts essen, klagte über brennenden Durst und Gliederschmerzen. In einem Anfall von Verzweiflung hatte sie ihm das Hemd nach oben gestreift und den Körper, der ihr so vertraut war, gründlich wie ein Medicus inspiziert. Doch von schwarzen Beulen war zu ihrer ungeheuren Erleichterung nichts zu sehen gewesen, weder am Hals noch unter den Achseln oder in der Leiste.
Erst nach Tagen war ihr eingefallen, dass sie vor lauter Sorge das Pesthaus und seine Bewohner ganz vergessen hatte. Sie beauftragte den Knecht, auf dem Markt einzukaufen. Danach schickte sie ihn abermals los, damit er aus dem Badehaus neue Leinenvorräte holte und sie mit den Einkäufen zur Gereonstraße brachte. Ludwig, den sie um Rat fragen wollte, schien das alles nicht zu kümmern. Die Lider halb geschlossen, dämmerte er vor sich hin.
Plötzlich jedoch schreckte er auf.
» Hab den Jungen gesehen«, sagte er. » Die gleichen Augen wie Johanna. Warum hat sie mir nie gesagt, dass sie einen Sohn hat?«
Etwas Bitteres schoss Ennelin in den Mund. Es ging ihrem Mann so schlecht – und noch immer hatte er nichts anderes im Sinn als diese blonde Hexe.
» Die Witwe Arnheim hat keine Kinder.« Ennelin drückte ihn in die Kissen zurück. » Das musst du dir eingebildet haben. Und reg dich nicht so auf! Das macht dich nur noch kränker.«
» Hat sie doch!«, beharrte Ludwig. » Der junge Mann, der im Badehaus nach ihr gefragt hat. Erinnerst du dich nicht mehr?«
» Er war viel zu alt, um ihr Sohn zu sein«, widersprach sie. » Wahrscheinlich jemand, dem sie den Kopf verdreht hat wie so vielen anderen auch.«
» Hab ihn
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