Die Pestmagd
Fleißige Hände mochten tagelang die Blüten und Ranken angebracht haben, jetzt aber war es zerknittert und fleckig. » Diese paar windigen Hemden und Verbände? Das Pesthaus ist voll bis unters Dach. Sie sterben dort wie die Fliegen. Da muss doch ständig Sudelzeug anfallen. Versuch mir also nicht einzureden, du hättest nicht mehr zusammenraffen können, wenn du nur gewollt hättest …«
Schweigend starrte die Krähe ihn an.
Das Messer glühte in seinem Versteck, als wollte es sich bis zum Knochen brennen.
Er hatte sie gefunden – und nicht getötet.
Was ging ihn das Geschwätz dieser Halunken an?
Bis auf das Halsband und den fehlenden Zopf hatte sie ausgesehen wie damals, nur ein wenig älter. Als ob Kummer und Einsamkeit sich heimlich in ihrem Gesicht eingenistet hätten. Oder hatte sie diese traurigen Linien um Augen und Mund schon gehabt, als sie ihn verkauft hatte?
Auf einmal war er sich nicht mehr sicher. All die Jahre hatte die Erinnerung so klar vor ihm gestanden wie ein funkelnder Kristall, der immer schärfer und reiner wurde, je mehr er ihn drehte und polierte.
Auf einmal aber war alles verschwommen. Sogar der Erinnerung an Geräusche und Gerüche, die ihn so lange qualvoll verfolgt hatte, mochte er auf einmal nicht mehr trauen.
Würden seine Sinne wieder klar werden, wenn sie nicht mehr atmete?
» Hast du deine Zunge verschluckt?«
Ruchs Faust traf sein Brustbein. Er taumelte, weil er unvorbereitet gewesen war, fing sich aber schnell wieder.
» Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede – oder ich mach dich wirklich stumm!«
Was wollten sie noch von ihm? Nur wegen Nele war er überhaupt noch hier.
» Sie haben es nicht gerade freiwillig rausgerückt.« Die Krähe spuckte jedes Wort einzeln aus. Was ging es den Einäugigen an, dass er unterwegs jede Menge verloren hatte, weil es ihm nicht schnell genug gehen konnte, möglichst weit weg zu kommen?
» Mit einem Haufen Weiber wirst du ja wohl noch fertig werden! Und hast du nicht vor uns damit geprahlt, dass du in jedes Haus kommst? Beweis es!« Sein Tonfall wurde lauernd. » Oder sollen wir Nele heute Nacht in die Flussauen bringen? Ist es das, was du möchtest?«
Wie sehr er ihn anwiderte!
Schlagen hätte er ihn mögen, treten, würgen – der Alte hatte ihm ein ganzes Repertoire an Handgriffen und Fußtritten beigebracht, die nur noch von seiner Geschicklichkeit mit dem Messer gekrönt wurden.
Aber er musste seine Wut für die Rache aufsparen, die es zu vollenden gab. Sie sollte endlich büßen für das, was sie ihm zugemutet hatte – Jahre des Hungers und der Kälte, Jahre von Angst und Demütigung. Die Schläge des Alten und seine gierigen Hände, die ihn begrapscht hatten, wenn er im Suff seine Geilheit ausleben wollte – bis der Junge endlich groß und stark genug gewesen war, um sich dagegen zu wehren.
» Du wirst also noch einmal gehen. Und kommst gefälligst mit einer ordentlichen Ladung zurück, verstanden?«, drang Ruchs Stimme wie aus weiter Ferne zu ihm.
Die Krähe nickte.
Er würde sie töten.
Doch zuvor sollte sie zu spüren bekommen, wie es war, wenn die Angst einen nicht mehr verließ.
x
Drei Tage hatte sie ihn in Frieden gelassen, und für ein paar köstliche Momente hatte Hennes schon geglaubt, er sei sie für immer los. Doch dann war Ita erneut im Lilienhaus aufgekreuzt, aufgetakelt wie für einen Feldzug, den sie nicht verlieren wollte. Sie trug ein verblichenes rotes Kleid, das ihr früher einmal gepasst haben mochte, jetzt aber über Busen und Hüften derart spannte, dass er die Nähte förmlich krachen hörte. Ihr Haar war frisch gefärbt, leuchtete grell auf dem kantigen Kopf. Niemals zuvor hatte sie so viele Ketten übereinander getragen, noch nie war sie in eine Wolke derart betäubender Düfte gehüllt gewesen. Zwei prall gefüllte Beutel hingen von ihren Schultern, die sie keuchend ablegte, bevor sie eine Vielzahl von Töpfchen und Fläschchen herauszerrte und ungefragt vor Hennes auf dem Tisch verteilte.
» Was soll das werden?« Misstrauisch beäugte er das bunte Durcheinander. » Willst du deine Heilerei jetzt etwa in das Lilienhaus verlegen?«
» Du gefällst mir nicht mehr.« Sie trat einen Schritt zurück, kniff ein Auge zu. » Und das schon seit geraumer Zeit. Wie steht es um deine Verdauung?«
Hennes presste die Lippen aufeinander, ganz und gar nicht gewillt, ihr darüber Auskunft zu erteilen.
Ita nickte, als hätte sie eine ausführliche Antwort erhalten.
» Also schlecht«, sagte
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