Die Pestmagd
neben Sabeth.
» Was hast du?«, fragte sie besorgt. » Was ist geschehen?«
Sabeth war kaum noch zu verstehen. » Auf einmal alles nur noch schwarz. Köpfe mit großen Hörnern, Teufel überall! Stechen wollten sie mich, blenden …«
» Niemand will dich stechen, schon gar nicht irgendwelche Teufel!« Johanna nahm sie in die Arme und wiegte sie wie ein Kind. » Das hast du alles nur geträumt. Bist du hingefallen? Tut dir etwas weh?«
Die wasserhellen Augen weiteten sich. » Hab mich auf den Boden gelegt und ganz klein gemacht, damit sie mich nicht finden können.« Ihre Hand glitt zu Johannas Halsband. » Musst aufpassen, Mädchen! Sollen mich nicht brennen – so wie damals dich.«
Seltsam berührt schob Johanna die welke Hand zur Seite.
» Du weißt doch, dass du mich da nicht anfassen sollst«, sagte sie. » Wie oft hab ich dir das schon gesagt. Du musst es dir endlich merken!«
Ein Stöhnen, doch sie wusste, dass die Alte sie ganz genau verstanden hatte.
» Ich bring dich jetzt nach oben«, fuhr Johanna fort. » Und dort ruhst du dich zusammen mit Mieze aus, einverstanden?«
Der Kopf ruckelte auf dem dünnen Hals, als wäre er locker. Mühsam hievte Johanna Sabeth wieder auf die Beine, während die Katze voranlief, und zerrte sie in den ersten Stock. Dass ein ausgemergelter Körper sich so schwer machen konnte! Wenn die Alte sich sperrte, war sie unhandlicher als drei Mehlsäcke zusammen.
Danach sank Johanna in ihrer Kammer erschöpft auf das Bett. Ihre Hände fuhren zum Hals und lösten das enge Band. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie in der Lage war, nach dem polierten Silberspiegel zu greifen. Seit ihrer Flucht aus Freiburg mied sie diesen Anblick, weil er ihr jedes Mal die Schrecknisse jener Zeit zurückbrachte. Sie hatte ihr Leben behalten – und doch das Liebste verlieren müssen, das sie jemals besaß.
Heute jedoch wich Johanna dem Anblick nicht aus.
Die Narben, die das milchige Spiegelbild zurückwarf, hatten sich in all den Jahren kaum verändert. Tief gruben sie sich in ihre zarte Haut, mussten jedem ins Auge stechen, der ihr begegnete, und Fragen aufwerfen, die sie nicht beantworten wollte. Deshalb verbarg Johanna sie seit ihrer Ankunft in Köln unter eigens dafür zugeschnittenen Bändern. Severin hatte sie die Narben auf seine Bitte hin gezeigt, und auch Sabeth kannte sie, weil sie sie einmal mit blankem Hals überrascht hatte. Sonst wusste niemand in der Stadt davon – und das sollte gefälligst auch so bleiben!
Johanna entschied sich für ein breites Band aus dunkelgrünem Samt, das gut zu dem Witwenschwarz passen würde, das sie anlegen wollte, um abermals bei den Weißen Frauen vorzusprechen.
Ob der Priorin ihr ungewöhnlicher Halsschmuck aufgefallen war? Selbst wenn, so hoffte sie, dass Mutter Christina nicht in sie dringen würde, denn eine Antwort müsste sie ihr schuldig bleiben. Eine Frau, die dem Schwarzen Tod getrotzt hatte, wurde schnell als Hexe oder Teufelsbuhlin abgestempelt. Denn wie hatte ausgerechnet ihr gelingen können, was so vielen anderen den Tod gebracht hatte?
Sie wissen nichts, dachte Johanna, während abermals Vincents Bild vor ihr aufstieg und die altbekannten Schmerzen verursachte. Nichts über die Liebe, nichts über Verrat, nichts über die Seuche, die alles verändert. Der Tod war bei Weitem nicht das Schlimmste, was einem widerfahren konnte. Ebenso elend fühlte es sich an, zu überleben und auf ewig jede Hoffnung begraben zu müssen.
» Du hast sie also noch?«, sagte die Frau, die auf einmal in der Tür stand. » Dachte ich mir schon, als ich neulich das Band an deinem Hals gesehen habe. Hättest damals vielleicht ein wenig vorsichtiger sein sollen! Wer mit dem Teufel tanzt, muss auch auf seinen glühenden Atem gefasst sein.«
» Was willst du?« Blitzschnell bedeckte Johanna ihren Hals. Doch noch immer fühlte sie sich unter Itas zudringlichem Blick nackt und ausgeliefert. » Wer hat dich überhaupt hereingelassen?«
Ita zuckte die Achseln. » Ich komme überall hin, das weißt du doch.« Breitbeinig spazierte sie in die Kammer. Ihre Röcke raschelten. Die Brüste quollen halb aus dem nachlässig geschnürten Mieder. » Hier also träumt die ehrbare Witwe Arnheim ihre keuschen Träume! Oder sind sie inzwischen gar nicht mehr so keusch?« Ihr kaltes Lächeln erlosch. » Du hältst mich hin«, sagte sie. » Und ich hasse es, hingehalten zu werden. Zumindest daran müsstest du dich doch noch erinnern.«
» Ich kann dir heute nichts geben
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