Die Pestmagd
mindestens fünften Mal. » Aber nirgendwo in Köln schmeckt eben der Wein besser als bei Euch. Meine Studenten und ich sind halb am Verdursten, besonders jetzt, wo das Glück unsere Burse zu verlassen scheint.« Er hüstelte. » Was rede ich da? Ihr habt gewiss anderes zu tun, als ausgerechnet mir zuzuhören!«
» Was ich in der Regel mit Vergnügen tue. Doch leider sind, wie Ihr wisst, meine Fässer nahezu leer.« Warum war sie seinem Drängen überhaupt nachgekommen und hatte ihn mit hinunter in das Gewölbe genommen? Der winzige Rest, den sie ihm abfüllen konnte, lohnte den ganzen Aufwand doch kaum. » Kommt nächste Woche wieder! Bis dahin werde ich wissen, wann ich wieder ordentlich ausschenken kann.« Zur Freundlichkeit musste sie sich regelrecht zwingen. Aber gehörte Weinsberg nicht zu ihren allerbesten Kunden?
» Dann stimmt es also nicht, was man sich über Euch erzählt?«
Johannas Blick gewann an Schärfe. Man durfte ihn keineswegs unterschätzen, diesen jungen Mann aus wohlhabendem Haus, der auf den ersten Eindruck so unbeholfen und schüchtern wirken konnte! Woher wusste er von ihren Schwierigkeiten? Kursierten die Gerüchte über sie jetzt schon in der ganzen Stadt?
» Was erzählt man sich denn so?« Sie hoffte, dass es beiläufig genug klang.
Sein Fuß scharrte auf dem harten Boden. Die Schultern hatte er auf einmal bis zu den fleischigen, ein wenig abstehenden Ohren hochgezogen.
» Ihr wisst, ich halte nichts von solchem Gerede …«
Für einen Augenblick wurde ihr schwindelig. Johanna machte einen tiefen Atemzug, froh darüber, dass ihre Hände den Krug halten mussten und somit die innere Unruhe nicht verraten konnten.
» Heraus damit! Ihr seid doch mein Freund, oder sollte ich mich da etwa täuschen?«
» Und ob ich das bin!« Seine Wangen glühten inzwischen pfingstrosenrot. » Ginge es nach mir, so würde ich diesem Abt Pirmin schon Bescheid stoßen. Was er mit solch einer Absage alles anrichten kann! Unser Erzbischof hat doch genügend Wein im Keller, um eine durstige Hundertschaft zu tränken. Wie kommt er da dazu, einer ehrbaren Witwe wie Euch das Leben schwer zu machen?«
Johannas Erleichterung war fast übermächtig.
Das war es also – zum Glück nur das!
Nichts über ihr Verhältnis mit Ludwig, kein Wort über Ita, geschweige denn den neuen Leibarzt, den sie weder aus ihrem Kopf noch ihrem Herzen bekam.
» Gottlob ist der Abt des Deutzer Klosters ja nicht der einzige Herr über Kölns Weinberge«, erwiderte sie mit einem kleinen Lächeln. » Auch die Weißen Frauen von St. Maria Magdalena keltern einen süffigen Tropfen, der seinem in nichts nachsteht. Bald schon werdet Ihr Euch selbst davon überzeugen können.«
Anstatt ebenfalls zu lächeln, wie sie es erwartet hatte, schaute der Rektor auf einmal so bedrückt drein, dass sie unwillkürlich seinen Arm berührte.
» Was habt Ihr?«, fragte Johanna.
» Sorgen«, stieß er hervor. » Große Sorgen sogar. Eigentlich wollte ich Euch damit ja nicht behelligen …«
» Erzählt es mir! Den Kummer zu teilen, macht ihn leichter.«
» Vier meiner Studenten sind erkrankt«, sagte er. » Drei leiden unter starkem Fieber, der Vierte hustet sich seit gestern die Lunge aus dem Leib. Ich habe natürlich bereits Bader Weißenburg konsultiert …« Ein seltsamer Blick, den sie nicht zu deuten wusste. War er doch besser im Bild, als sie zunächst geglaubt hatte? » Er wollte sich zu meinem Leidwesen allerdings nicht festlegen. Womöglich der Jahreszeitenwechsel, so lautete seine Diagnose – aber sagt selbst: Seit wann werden junge Männer schwach und siech wie Greise, sobald der Herbst kommt?«
Sollte sie Vincent ins Spiel bringen?
Doch dann würde der Rektor unweigerlich erfahren, dass sie sich von früher kannten. Johanna entschloss sich dagegen. Schließlich war der neue Leibarzt des Bischofs nicht der einzige Medicus in der Stadt.
» Vielleicht haben sie ja nur etwas Falsches gegessen oder getrunken«, sagte sie. » Dieser mörderische Sommer steckt uns noch allen in den Knochen. Nicht nur die aufgerissene Erde, auch wir Menschen dürsten nach Abkühlung. Selten zuvor waren die Pütze so leer, selten zuvor hat das Wasser in Köln derart abgestanden geschmeckt. Erst gestern habe ich zwei Krüge weggeschüttet, weil ich das brackige Gesöff beim besten Willen nicht hinunterbekam.«
Was ihre Übelkeit wirklich verursacht hatte, ging ihn nichts an. Es war schon schwierig genug, vor Sabeth so zu tun, als sei alles in bester
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