Die Pestmagd
Ordnung.
» Ihr meint, es liegt womöglich daran?« Seine Augen glänzten wie geschliffene Glasmurmeln. » Andere behaupten ja, Juden hätten die widerliche Angewohnheit, sich an christlichen Brunnen zu vergehen …«
» Das will ich gar nicht gehört haben!«, unterbrach ihn Johanna. Sie dachte an Mendel ben Baruch, der ihr mit der Stute einen so großen Freundschaftsdienst erwiesen hatte. Seit Tagen war sie ihm nicht mehr begegnet. Sie hoffte inständig, dass er und seine Familie gesund und unversehrt waren. » Nur Dummköpfe plappern so etwas nach – und Ihr seid doch alles andere als ein Dummkopf! Unsere jüdischen Nachbarn trinken das gleiche Wasser wie wir. Sie sind uns niemals feindlich gewesen, auch wenn wir sie vor Jahren gezwungen haben, auf der anderen Rheinseite zu siedeln.«
Betreten schlug Weinsberg die Augen nieder. » Ihr habt ja recht«, räumte er ein. » Es ist nur, weil die Verantwortung für die ganze Kronenburse auf meinen Schultern ruht. Da kommt man eben manchmal auf die seltsamsten Ideen. Und das alles ausgerechnet jetzt, wo die neuen Studenten sich einschreiben! Da wirkt ein Haus mit mehreren Kranken doch abschreckend.«
» Ich sehe schon, die Weinlieferung ist mehr als dringlich«, wich Johanna aus, weil das Thema sie plötzlich bedrückte. Auch die junge Nachbarin vom Nebenhaus lag seit gestern im Bett, fieberte, sah elend aus und hatte sie am Morgen, als Johanna ihr Lindenblütentee und Brot bringen wollte, kaum noch erkannt. » Ich will sehen, was ich tun kann, damit Ihr rasch wieder auf heiterere Gedanken kommt.«
Bevor sie sich versah, hatte er ihre Hand gepackt. Die seine war weich und feucht, und sie glaubte, das laute Schlagen seines Herzens zu hören. Er wirkte wie ein übergroßes, verängstigtes Kind, das Schutz sucht.
» Dann ist es also noch nicht bis zu Euch gedrungen?«, murmelte er.
» Wovon sprecht Ihr? Doch nicht etwa von einem weiteren Gerücht?«, wollte Johanna spöttisch entgegnen, doch ihre Stimme klang plötzlich dünn.
Hermann Weinsberg nickte.
» Das allerfurchtbarste, sollte es auch nur eine Spur Wahrheit enthalten«, sagte er leise. » Bis jetzt sagen sie es nur hinter vorgehaltener Hand, doch das Flüstern will nicht aufhören. Das ist es, was mir so auf den Magen schlägt. Das Gerücht breitet sich von Tag zu Tag mehr aus, als erhalte es unablässig neue Nahrung. Sie sagen, die Pest sei zurück in Köln …«
Johanna zog ihre Hand zurück.
» Malt den Teufel nicht an die Wand!«, sagte sie streng. » Der Schwarze Tod ist schlimmer als die Hölle.«
Sie konnte es kaum erwarten, bis der Rektor endlich gegangen war, und nahm sich vor, beim nächsten Mal besser auf ihre innere Stimme zu hören. Auch wenn er stets ohne Murren bezahlte und sie dabei aus großen Augen sehnsüchtig anhimmelte – seit sie unverhofft Vincent in die Arme gelaufen war, wollte sie nur noch allein sein.
Sie war schon fast an der Treppe, als sie plötzlich einen schrillen Laut hörte, der ihr durch und durch ging.
Sie fuhr herum. Vor der hinteren Wand stand Mieze mit derart gespreiztem Fell, dass sie fast doppelt so groß wirkte. Sie blutete aus dem Maul und hieb mit der Tatze auf eine Ratte ein, die kaum kleiner als sie war. Das Nagetier sprang hoch, um den Schlägen auszuweichen. Dann stürzte es sich plötzlich auf die Katze und biss zu. Mieze schrie gellend und schüttelte sich, um die Ratte wieder loszuwerden.
» Gottverdammtes Drecksvieh!«
Johanna packte eine Schaufel und rannte los, doch sie war zu langsam gewesen. Blitzschnell war der nackte Schwanz zwischen den Weinfässern verschwunden. Sie ließ die Schaufel fallen, bückte sich nach der Katze, hob sie hoch. Zitternd schmiegte Mieze sich in ihren Arm und stieß dabei heisere Klagelaute aus.
» Das nächste Mal kriegst du sie«, flüsterte Johanna, während sie das weiche Fell streichelte. » Und den Rest der Brut werden wir auch noch ausrotten, das verspreche ich dir.« Aus der Nähe sah die Wunde am Mäulchen weniger dramatisch aus, doch die Katze drehte den Kopf weg, als Johanna sie dort berühren wollte. » Ich bring dich jetzt zu deiner alten Freundin – und dann haltet ihr ein gemeinsames Nickerchen. Was meinst du?«
» Sabeth?«, rief sie, als sie die Treppen hinauflief. » Sabeth, wo steckst du? Eine riesige Ratte hat gerade unsere Mieze attackiert.«
Ein Wimmern war die Antwort. Die Alte lag längs auf dem Küchenboden, die Beine seltsam von sich gestreckt.
Johanna setzte die Katze ab und kniete sich
Weitere Kostenlose Bücher