Die Pestmagd
rieben an der dünnen Haut über den Knöcheln und ließen sie langsam und unsicher gehen. Ein paar Mal wäre sie beinahe ausgeglitten und hingefallen.
Hörte dieser Weg tief in die Unterwelt denn niemals auf?
Allmählich wurde es trockener unter ihren Sohlen, und die Wände schienen zurückzuweichen. Sie konnte sich aufrichten und spürte, wie ihr Rücken sich dabei entspannte.
» Wir sind fast am Ziel«, hörte sie den Turmmeister sagen.
Sie vernahm, wie ein schwerer Schlüssel sich im Schloss umdrehte.
Dann wurde es auf einmal so hell, dass sie die Hände hochreißen musste, um ihre Augen zu schonen.
Über eine steinerne Treppe gelangten sie schließlich nach oben.
» Wo sind wir?«, flüsterte Johanna beklommen.
» In der Hacht«, lautete seine knappe Antwort, » dem erzbischöflichen Kerker.«
Er brachte sie in einen großen, kargen Raum mit nackten Wänden. Hinter einem langen Tisch saßen drei Männer.
Meigin verbeugte sich untertänig.
» Die Gefangene Arnheim, Euer Gnaden«, sagte er zu dem mittleren Mann, der zu Johannas Verblüffung klein wie ein Kind war und ein schwarzes Samtbarett trug. Tiefe Falten zeichneten sein schmales Gesicht. Der grüne Rock, in dem er steckte, war mit einem ausladenden Brokatkragen verziert, der die fragile Gestalt fast zu erdrücken schien. » Wir haben den alten Geheimgang genommen, wie Ihr es befohlen hattet. Niemand hat uns gesehen.«
» Wieso erscheint die Delinquentin ungefesselt zum Verhör?«
» Lediglich die Hände, Euer Gnaden. Der Weg durch den Stollen ist rau und uneben. Sie hätte hinfallen können, sich dabei verletzen und dann nicht mehr gut antworten können. Deshalb dachte ich …«
» Solch übertriebe Sorgsamkeit überlasst besser uns!«, fuhr der Kleine ihn an. » Wir werden herausfinden, ob die Angeklagte in unserer Gegenwart weiterhin so verstockt bleibt. Entfernt Euch, Turmmeister! Eure Aufgabe ist beendet.«
Johanna überfiel ein Frösteln. Was hatten diese seltsamen Worte zu bedeuten? Dass sie nicht mehr zurück in den Frankenturm musste – aber wohin dann?
Angstvoll starrte sie Meigin hinterher, bis ein ungeduldiges Räuspern sie zusammenfahren ließ.
» Ihr wisst, wer ich bin, Witwe Arnheim?«, sagte der Kleine.
Johanna schüttelte den Kopf.
» Leider nein, Euer Gnaden.« Sie benutzte, um ja nichts falsch zu machen, exakt die Anrede, die auch Meigin gewählt hatte.
» Graf Bornweg, Grewe zu Köln, persönlicher Vertreter Seiner Exzellenz des Erzbischofs.« Er schüttelte den Kopf, während er sichtlich ungehalten in den Akten blätterte. » Welch ein Aufwand, muss ich schon sagen! So viel Geschriebenes und so wenig Reue! Wie lange wollt Ihr noch im Zustand der Todsünde verharren?«
Der Grewe höchstpersönlich wollte sie vernehmen! Johanna überlief es eiskalt.
» Ich bin unschuldig, Euer Gnaden«, sagte sie. » Der Tod meines Mannes hat mich tief getroffen, aber er kam nicht unvorbereitet. Severin war krank – schon seit längerer Zeit.«
In den Augen des Grafen zeigte sich ein seltsames Funkeln, während der Mann zu seiner Rechten die Feder ergriffen hatte und eifrig mitschrieb.
» So nähern wir uns der Sache doch langsam an«, rief der Grewe. » Den Tontopf!«
Der Mann zu seiner Linken bückte sich und hievte mit ausgestrecktem Arm einen bauchigen Topf auf den Tisch. Danach wischte er sich die Hände hastig mit einem Tuch ab.
» Dieses Gefäß ist Euch bekannt?«, fragte Bornweg.
Sie mussten in der Speisekammer des Lilienhauses gewesen sein. Oder hatte Hennes sich schon des Anwesens bemächtigt und ihnen den Topf ausgehändigt?
Doch wie hätte er wissen sollen, was sich darin befand? Johannas Gedanken wirbelten wild durcheinander, bis sie plötzlich beinahe laut aufgeschrien hätte: Sabeth könnte ihn darauf gebracht haben!
Sabeth, die sie neulich erst in der Speisekammer beobachtet hatte und die voller Verzweiflung auf ihre Rückkehr wartete. Sabeth, die einfach zu lenken war, wenn man ihr nur genügend Angst einflößte.
Zu leugnen wäre zwecklos. Doch was würde geschehen, wenn sie die Wahrheit sagte?
» Ich kenne das Gefäß«, sagte Johanna. » Es hat meinem verstorbenen Mann gehört.«
» Dann wisst Ihr auch, was es enthält?«
» Man nennt es Flusssäure. Glasmaler benutzen diese Substanz, um Glas zu ätzen«, erwiderte sie.
» Folglich ist Euch auch deren Gefährlichkeit bestens bekannt?« Die Fragen kamen so schnell und hart wie Peitschenhiebe.
Johanna nickte.
» Antwortet gefälligst!«, bellte der
Weitere Kostenlose Bücher