Die Pestmagd
Hospitäler, ein Melatenhaus und, wie ich hörte, ein wiedereröffnetes Pesthaus. Meint Ihr nicht, Medicus de Vries, das müsste genügen?«
» Wenn erst einmal der giftige Atem jener Seuche über die Stadt hinwegfegt, werden alle Dämme brechen«, sagte Vincent. » In Heidelberg und Ulm habe ich mit ansehen müssen, wie Menschen auf der Straße krepieren, und in Straßburg, wie angesehene Bürger zu skrupellosen Menschen werden, die vor nichts und niemandem zurückschrecken. Die Pest hebt Gesetze aus den Angeln und macht Menschen zu Bestien. Wir können diese Sturmflut nicht aufhalten, dazu sind wir zu ohnmächtig und schwach. Doch wir können Regeln aufstellen und einhalten, um sie in bestimmte Bahnen zu lenken.«
Eine Weile war es ganz still in dem behaglichen Gemach. Auf dem Tisch funkelte Rotwein in einer gläsernen Karaffe; auf silbernen Platten lud Reh- und Wildschweinbraten in dunkler Sauce ein. Vom Rhein her kam eine sanfte Brise, die allen wohltat.
Dann zerriss ein Schrei die abendliche Idylle.
» Was war das?« Hermann von Wied sprang aus seinem Sessel hoch.
» Ein Kind in Todesnot«, sagte Vincent. » Eine Frau, die über dem Leichnam ihres Mannes schier zerbricht. Ich fürchte, Ihr werdet Euch daran gewöhnen müssen, Exzellenz. Was uns allen bevorsteht, ist mehr, als Menschen ertragen können.«
» Ihr redet, als hättet Ihr die Pest schon viele Male besiegt«, sagte Longolius verdrossen.
» Die Pest kann man nicht besiegen«, erwiderte Vincent. » Zwar mag sie einen verschonen, wenngleich uns die Gründe dafür bis heute unbekannt sind. Geht sie nicht mit Bluthusten einher, überleben in manchen Fällen einige.«
» Wir werden Bittgottesdienste ansetzen«, rief der Erzbischof. » Und eine große Prozession abhalten, quer durch die ganze Stadt.«
» Damit auch noch die angesteckt werden, die bislang unbehelligt blieben?«, rief Vincent. » Wir müssen ganz im Gegenteil weitere Orte einrichten, wo die Pestkranken abgeschieden vom Rest der Bevölkerung bleiben, bis sie …«
Ein Klopfen an der Tür.
» Der Grewe schickt Euch eine Nachricht, Exzellenz«, sagte der magere Kleriker, der alle Botengänge für den Erzbischof verrichtete. » Alles in Eurem Sinn erledigt.«
» So sitzt sie jetzt also hinter Schloss und Riegel?« Hermann von Wied klang zufrieden.
» Man hat sie in den Frankenturm gebracht, wie von Euch angeordnet. Das Verhör ist für die nächsten Tage angesetzt.«
Der Erzbischof nahm einen Schluck Wein.
» Gerade in schweren Zeiten wie diesen müssen Recht und Ordnung bewahrt bleiben«, sagte er. » Wo kämen wir hin, wenn wir solch ruchlosen Weibern freie Bahn ließen!«
» Wessen wird diese denn bezichtigt?«, fragte Vincent.
» Gattenmord«, erwiderte Hermann von Wied. » Und stellt Euch vor, der Tote hat früher für mich gearbeitet! Ein ungewöhnlich talentierter Glasmaler. Vielleicht ist Euch der Name ja schon einmal untergekommen: Severin Arnheim. Er hätte wahrlich Besseres verdient, als durch die Hand seiner Frau den Tod zu finden.«
FÜNF
A ls sie Lenne aus der Fragstatt zurückbrachten und auf die Pritsche warfen, wurde Johanna speiübel. Aus der lebhaften Frau mit den sprechenden braunen Augen war ein blutverschmiertes Bündel geworden, das sich angstvoll zusammenkrümmte, als befürchtete sie neuerliche Misshandlungen. Johanna konnte es kaum abwarten, bis die Henkersknechte das Turmverlies wieder verlassen hatten, dann watschelte sie zu Lenne, so schnell ihre Fußfesseln es zuließen.
» Was haben sie dir angetan?«, flüsterte sie.
Ein Stöhnen war die Antwort.
Mühsam drehte Lenne sich auf den Rücken. Wo noch am Morgen gesunde Zähne geschimmert hatten, klaffte jetzt ein blutiges Loch.
» Schpreizbirne«, röchelte sie. » Dasch näschste Mal breschen schie mir den Kiefer. Oder schie schtecken schie mir in meine …«
» Streng dich nicht unnötig an! Ich hole Wasser.«
Johanna kam mit dem Krug zurück, dessen Inhalt sie sich über den ganzen Tag teilen mussten. In kluger Voraussicht hatte sie heute nur wenige Schlucke davon getrunken. Sie griff unter ihr Kleid und riss von ihrem Hemd einen Streifen ab.
» Das Sauberste, was ich noch habe«, sagte sie, feuchtete das Leinen an und begann, Lennes geschundenen Mund behutsam abzutupfen. Zunächst ließ Lenne es sich gefallen, dann aber stieß sie Johanna plötzlich weg.
» Jetzt musch isch alsch altesch Weib schterben«, nuschelte sie. » Misch reut jeder Tag, an dem isch ihn habe leben laschen!«
» Du
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