Die Pestmagd
Grewe.
» Ja«, sagte sie. » Ich weiß darüber Bescheid. Severin hat mich darauf hingewiesen. Am liebsten hätte er die Flusssäure gar nicht mehr verwendet. Ihm graute geradezu davor, sie einzusetzen. Doch was sollte er tun? Ohne sie konnte er sein Handwerk ja nicht ausüben. Nach seinem Tod hab ich den Topf auch weiter verwahrt.«
» Ausgerechnet in Eurer Speisekammer? Verratet mir den Grund! Weil er Euch schon über eine längere Zeit gute Dienste geleistet hatte?«
Mit aller Macht wollten sie sie zur Mörderin abstempeln! Mit einem Mal überfiel Johanna tiefe Mutlosigkeit.
» Warum quält Ihr mich? Das alles hab ich doch viele Male in Gegenwart von Turmwächter Meigin bereits ausgesagt …«
» Beantwortet meine Frage! Oder wollt Ihr die Ehre dieses Tribunals schmähen?«
» Ich achte die Ehre dieses Tribunals«, erwiderte sie mit zittriger Stimme. » Und ich achte das Leben aller Kreaturen, die Gott geschaffen hat. Wohin hätte ich die Substanz schütten oder verbringen sollen, ohne Mensch oder Tier zu gefährden? In den Fluss? Auf die Erde? Überall hätte sie großen Schaden anrichten können.«
» So habt Ihr Euch in übergroßer Fürsorge entschieden, sie anstatt dessen bei Eurem Mann anzuwenden?« Seine Stimme troff vor Hohn. » Habt sie dem Glasmaler Severin Arnheim ins Essen geträufelt, bis er krank wurde und schließlich den Tod fand.«
» Niemals hätte ich Severin so etwas antun können!«, rief Johanna. » Außerdem kann man niemandem heimlich Flusssäure verabreichen. Allein der Geruch würde einen schon verraten.«
» Das klingt in meinen Ohren, als hättet Ihr Euch überaus eingehend damit beschäftigt.« Das Puppengesicht des Grewen verhärtete sich weiter. » Weil Ihr nämlich ein anderes schändliches Verbrechen bereits begangen hattet – Ehebruch! War Euch der Glasmaler dabei im Weg? Musste er deshalb so jämmerlich sterben?«
» Ich war meinem Mann stets treu.« Jetzt schrie sie. » Das ist die reine Wahrheit!«
» Dann seid Ihr also mit dem Bader Ludwig Weißenburg kein unzüchtiges Verhältnis eingegangen? Obwohl er frisch verheiratet ist und seine junge Frau alsbald ein Kind zur Welt bringen wird?« Als sie aufbegehren wollte, machte er das mit einer zornigen Geste zunichte. » Versucht erst gar nicht, die Vorwürfe abzustreiten! Uns liegen Zeugenaussagen ehrbarer Bürger vor, die Euer Vergehen bis ins Detail beschrieben haben. Wie abscheulich Ihr doch seid! Er, dessen prachtvolle Fenster die Herrlichkeit Gottes rühmen, hätte wahrlich anderes verdient gehabt.«
Er wusste von Ludwig und ihr. Was sonst wusste er noch?
Eine fremde Macht schien Johanna hochwirbeln zu wollen. Verzweifelt klammerte sie sich am Tisch fest.
» Das war erst nach Severins Tod«, räumte sie schließlich ein. » Von einer Heirat des Baders war mir zu jener Zeit nichts bekannt, geschweige denn von einem Kind. Das müsst Ihr mir glauben!«
» Und selbst wenn – hätte es Euch gekümmert?«
Der Grewe war aufgesprungen und hurtig um den Tisch gelaufen. Erst jetzt schien er zu bemerken, dass er Johanna nicht einmal bis zum Kinn reichte, was ihn sichtlich irritierte. Er reckte sich, um größer zu wirken, was misslang und ihn nur noch weiter aufbrachte.
» Eine Person, der nicht einmal das Witwenjahr heilig ist? Die früher im fernen Freiburg als Badehure gearbeitet hat? Und davor bereits aus dem Kloster der Magdalenerinnen zu Basel entwichen war, anstatt dort ihre Unmoral in Reue und Buße zu sühnen?« Sein ausgestreckter Zeigefinger schnellte nach vorn, als wollte er ihr die Augen ausstoßen.
Johanna wich zurück, verhedderte sich in der Eisenkette, die ihre Fußfesseln verband, und fiel auf den Rücken. Dabei verrutschte ihr Kleid, gab die Knie und einen Teil der Schenkel frei, auf die der Winzling in einer seltsamen Mischung aus Gier und Ekel starrte.
» Ja, du bist ein durch und durch verderbtes Geschöpf«, rief er, während er sich tief über sie beugte. » Durchtränkt von Sünde vom Scheitel bis zur Sohle. Noch vor Kurzem hätte man dich zwingen können, dein teuflisches Gebräu bis zum letzten Tropfen auszusaufen, um mitzuerleben, ob und wie der gerechte Gott dich für deine Untaten bestraft.« Geschwind hangelte er nach dem Topf und hielt ihn schräg über die hilflose Johanna, als wollte er ihn über ihr ausgießen. Erst im allerletzten Augenblick schien er wieder zur Vernunft zu kommen. » Doch die Paragrafen der Carolina hindern uns an solch einem Vorgehen. Du willst noch immer nicht
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