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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Licht und Freude aus seinem Leben verschwunden waren? Dass er seitdem auf der Flucht war, niemals zur Ruhe gekommen, wohin er auch immer geritten war? So vielen Frauen er unterwegs begegnet war, die Sehnsucht nach der einen, die ihn schmählich verraten hatte, war unstillbar.
    » Du musst mit mir vorliebnehmen«, sagte er. » Eine andere Wahl hast du nicht.« Jetzt, da ihre Nacktheit bedeckt war, fiel es ihm leichter, sie anzusehen. » Man müsste dich waschen, salben und von diesen entsetzlichen Fesseln befreien, doch dazu ist jetzt keine Zeit.«
    Johannas Beine zitterten so stark, dass sie einzuknicken drohte.
    » Ist es so weit?«, fragte sie leise. » Du kommst mich holen?«
    Er sah, wie sie dabei ihre schrundigen Lippen benetzte, während in ihm ein Damm zu brechen drohte.
    So oft hatte er sie verflucht in all den langen Jahren. Wie konnte sie etwas so Kostbares wie ihre gemeinsame Liebe leichtfertig vertun? Johanna hatte mit ihm gespielt, ihn hintergangen und verraten, obwohl er doch sein ganzes Herz vor ihr ausgebreitet hatte.
    Warum aber war dann sein Mitgefühl für sie jetzt so überwältigend, dass es ihm die Kehle zuschnürte?
    » Einer Menschenseele so etwas zuzufügen!« Seine Stimme war rau. » Selbst wenn du schuldig wärst – das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.« Vincent griff unter ihre Achseln, um sie zu stützen. » Siehst du das Helle dort vorn?«
    Johanna taumelte. Er verstärkte seinen Griff, und es gelang ihm schließlich, sie aus dem Loch zu zerren.
    Sie schleppte sich voran. Viel zu bald war ihre Kraft zu Ende.
    » Ich kann nicht mehr.« Erneut sank sie in sich zusammen. » Nicht einen einzigen Schritt!«
    Erneut richtete Vincent sie auf.
    » Gleich hast du es geschafft«, sagte er. » In der Zelle warten Wasser und Brot. Du musst dich zwingen. Sonst wirst du nicht durchstehen, was auf dich zukommt.«
    » Der Galgen?«, flüsterte sie. » Ich will nicht sterben!«
    Johanna fiel gegen ihn, als hätten seine Worte sie noch mehr geschwächt.
    Was hatten sie nur mit ihren Haaren angestellt? Der blonde Zopf, den er sich in jenen verzauberten Basler Wochen immer wieder um die Finger geschlungen hatte, als sei er ein kostbares Band aus Gold, war verschwunden. Stattdessen ließen schmutzstarrende Zotteln ihren Kopf schmal und verletzlich erscheinen.
    Sein Zorn auf ihre Peiniger wuchs.
    » Du wirst nicht sterben«, sagte er grimmig, nahm sie auf seine Arme und trug sie das letzte Stück.
    Johanna war leichter als in seiner Erinnerung, sie war so mager, dass er durch den schäbigen Stoff ihre Rippen hätte zählen können. Zuerst machte sie sich stocksteif, als könnte sie die Nähe kaum ertragen, dann jedoch schien seine Körperwärme sie zu entspannen. Für einen Augenblick fiel ihr Kopf gegen seine Schulter – da entdeckte er die Narben an ihrem Hals, die wegen des geschorenen Haars sichtbar waren.
    » Sind das alte Pestbeulen?«, fragte er, als er sie auf die Pritsche gleiten ließ. » Hat jemand sie dir geöffnet?«
    » Zu lange her.« Ihre Hand fuhr an die verhassten Male, als wollte sie sie unbedingt verdecken. » Mein Band! Sonst muss ich noch als Hexe brennen.«
    Vincent reichte ihr einen Becher.
    » Trink, Johanna! Und dann streng dich an, mir zuzuhören! Viel verlangt in deinem Zustand, ich weiß. Aber es muss sein.«
    Johanna wollte nippen, doch es misslang. Stattdessen lief ihr das Wasser über Kinn und Brust.
    » Nicht einmal dazu bin ich mehr imstande.« Sie begann zu schluchzen. » Das haben sie aus mir gemacht!«
    » Langsam, langsam!« Vincent hielt den Becher an ihre Lippen und stützte sie zusätzlich am Hinterkopf. » Lass dir Zeit, dann wird es gehen.«
    Sie versuchte es von Neuem, schaffte die ersten Schlucke, schließlich leerte sie sogar den ganzen Becher.
    Ein Hauch von Farbe kehrte in ihr fahles Gesicht zurück.
    » Ich habe Severin nicht getötet«, sagte sie unvermittelt. » Und wenn sie mich klaftertief unter die Erde sperren – ich war es nicht! Warum glauben sie mir nicht?«
    » Dafür haben deine Feinde gesorgt, ehrbare Bürger Kölns, so heißt es. Mehr war aus Turmmeister Meigin nicht herauszubekommen.« Er verschwieg, wie teuer ihn selbst das gekommen war. Und wie viel er darüber hinaus dafür bezahlt hatte, damit der Scharfrichter ihn für ein paar kostbare Augenblicke mit Johanna allein ließ.
    » Das kann nur Hennes gewesen sein, Hennes Arnheim, mein Schwager. Er will an das Lilienhaus, das mein Mann mir vermacht hat.« Das Reden schien sie über die

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