Die Pestmagd
Maßen zu erschöpfen. Johanna sank halb auf der Pritsche zusammen. Dann aber rappelte sie sich wieder auf. » Aber dort leben auch Sabeth, die alte Magd, die alles vergisst, Mieze, die weiße Katze, und Rosa, meine Stute. Ohne mich sind sie hilflos. Was wird er ihnen antun, wenn ich sie nicht mehr schützen kann?«
» Ich sehe nach ihnen«, versprach Vincent. » Doch jetzt geht es um dich.« Er brach ein Stück Brot ab, reichte es ihr. » Iss! Du brauchst deinen Verstand, mehr denn je.«
» Ich kann nicht«, wehrte sie ab.
» Doch, du kannst!«, beharrte er. » Meigin hat etwas von Beweisen angedeutet, die angeblich gegen dich aufgetaucht sein sollen. Genaueres konnte oder wollte er nicht sagen. Was sind das für Beweise?«
Johanna kaute, schluckte mühsam, griff nach dem erneut gefüllten Becher und trank, um alles hinunterzuspülen.
» Ein Topf mit Flusssäure«, sagte sie. » Aus meiner Speisekammer. Weiß der Himmel, wie sie darauf gestoßen sind.«
» Flusssäure?«, wiederholte Vincent. » Was ist das?«
» Sie riecht stechend und kann Glas ätzen.« Inzwischen kamen ihre Sätze flüssiger, als schiene sie sich nach und nach wieder an das Reden zu gewöhnen. » Man darf sie nicht in die Augen oder auf die Haut bekommen, sonst stirbt man.«
» Und das hattest du ausgerechnet in deiner Speisekammer?«
» Weil ich doch nicht wusste, wohin damit! Nach Severins Tod hab ich den Topf zuerst im Stall, dann dort versteckt, bis ich eine bessere Lösung finden würde. Warum nur habe ich ihn nicht Meister Hantsch gegeben wie alles andere auch? Er hat mir die Werkstatt abgekauft.«
» Nicht ganz so schnell!«, verlangte Vincent. » Dieser Hantsch ist also Glasmaler wie dein verstorbener Mann?«
» Dietrich Hantsch, ja«, sagte Johanna. » An Severins Kunstfertigkeit wird er freilich niemals heranreichen, selbst wenn er hundert Jahre alt wird. Doch auch ohne linke Hand verrichtet er seine Arbeit ordentlich.« Sie steckte sich einen weiteren Bissen in den Mund, dann wurde ihr Blick plötzlich starr. » Wieso fragst du mich das alles? Hat der Grewe dich geschickt, um ein Geständnis zu erzwingen? Bist du deshalb hier?«
Er packte ihre Hände und hielt sie so fest, dass sie aufschrie.
» Wenn du mir nicht traust, werde ich gehen«, sagte er. » Willst du, dass ich gehe, Johanna?«
» Nein«, murmelte sie.
» Ich habe dich nicht verstanden.«
» Nein. Aber wie sollte ich ausgerechnet dir trauen?«
» Das musst du selbst entscheiden.« Er richtete sich auf. » Soll ich gehen?«, wiederholte er.
» Nein. Nein. Bleib! Aber lass mich los, du tust mir weh!«
» Gut.« Er stand nun vor ihr. » Könnte dieser Hantsch für dich aussagen?«
» Er schätzt mich, aber er ist kein besonders mutiger Mann«, sagte Johanna. » Seit er seine linke Hand nicht mehr gebrauchen kann, regelt sein Sohn Tobias das meiste für ihn.«
» Ein Unfall?«
» Flusssäure. Trotz aller Vorsicht sind ein paar Spritzer auf seine Hand gekommen. Die Schmerzen müssen höllisch gewesen sein. Alle dachten, er würde sterben, doch er hat überlebt – allerdings mit einer lahmen Linken. › Das ist es, was uns allen eines Tages droht‹, hat Severin immer gesagt. › Dieses Gift macht uns krank. Und irgendwann raubt es uns das Leben.‹« Sie fuhr sich erneut an den Hals. » Mein Band«, sagte sie. » Du musst es mir holen!«
Vincent beugte sich über sie und berührte ihre Schulter.
» Weißt du, was du da gerade gesagt hast?«
Sie zuckte die Achseln. » Das mit dem Band? Oder das über Meister Hantsch …«
» Wo finde ich ihn?«, unterbrach er sie.
» In der Zeughausgasse. Wieso fragst du?«
» Weil er dein Schutzengel werden kann.« Vincent erhob sich. » Falls er dazu bereit ist. Wer sonst noch könnte für dich bürgen?«
Sie schüttelte den Kopf. » Ich weiß nicht …«
» Denk nach, Johanna! Es muss doch jemanden geben.«
» Vielleicht der Rektor der Kronenburse«, sagte sie schließlich. » Hermann Weinsberg. Seine Familie ist sehr angesehen. Ich glaube, er wäre womöglich dazu bereit.«
» Dann werde ich ihn fragen. Ebenso wie den Glasmaler«, sagte Vincent.
Schwere Schritte näherten sich langsam.
» Du willst zu Hantsch?«, fragte Johanna. » Aber ich hab ihn viele Monate nicht mehr gesprochen. Und Weinsberg, er hatte große Sorgen um seine kranken Studenten …«
» Fällt dir etwas Besseres ein?«, sagte Vincent.
» Nein. Aber geh nicht fort! Das darfst du nicht – mich hier allein lassen.« Trotz ihrer Schwäche
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