Die Pestmagd
scharfer Schmerz in sein Handgelenk, das immer mehr anzuschwellen schien. Er biss sich auf die Lippen, um nicht zu stöhnen.
» Woher wollt Ihr das wissen?«, schrie ein Mann dem Medicus entgegen.
» Weil ich schon in so einigen Städten gewesen bin, in denen die Pest gewütet hat. Und in manchen hat es gar keine jüdische Gemeinde gegeben. Was sagt ihr jetzt?«
In die Gesichter der Männer malten sich erste Zweifel, aber sie waren noch nicht zum Nachgeben bereit.
» Wer will uns dann vernichten, wenn es nicht die Juden sind?«, schrie einer. » Etwa Gott, weil wir gesündigt haben?«
» Es ist eine Krankheit«, sagte Vincent. » Keine Strafe. Wer von uns möchte sich anmaßen, den Willen des Schöpfers zu kennen?«
» Dann müssen wir also warten, bis wir sterben?«, sagte der Jüngste. » Ist das alles, was wir tun können?«
» Esst nicht vom Geschirr der Befallenen! Tragt nicht deren Kleidung! Verbrennt alles, was mit ihnen in Kontakt war, und bestattet die Toten rasch! Betet zum Allmächtigen, dass er euch verschonen möge! Und jetzt geht nach Hause zu euren Familien!«
Grummelnd und murmelnd standen sie zusammen, dann löste sich der Erste von der Gruppe. Zögernd zerstreuten sich auch die anderen. Die beste Gelegenheit für die Krähe, wieder Deckung zu suchen. Dort drüben der Torbogen war genau das, was er brauchte.
Mendel ben Baruch erhob sich, klopfte sich den Staub von den Kleidern und hustete mehrmals.
» Ich dachte schon, mein letztes Stündlein wäre angebrochen«, sagte er und bewegte vorsichtig seine Arme. Dann streckte er erst das rechte, schließlich das linke Bein. » Ohne Euch, Medicus de Vries, und diesen mutigen jungen Mann …« Er schaute sich um. » Wo ist er denn auf einmal? Gerade war er doch noch da. Dabei dachte ich für einen Augenblick, er sei mit Euch verwandt! Die Locken, die Nase, seine ganze Gestalt – ist Euch das nicht aufgefallen?«
» Nein«, sagte Vincent. » Ich habe keine Familie mehr. Leider.«
» Aber er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!« Mendel drehte sich langsam um die eigene Achse.
» Offenbar doch«, sagte Vincent. » Kümmert Euch lieber um Euch selbst! Seid Ihr verletzt? Wie ein Rudel Wölfe sind sie über Euch hergefallen.«
» Wölfe jagen nur, wenn sie hungrig sind«, sagte Mendel ben Baruch. » Das unterscheidet sie von uns Menschen. Nein, außer dem Schrecken und ein paar blauen Flecken ist mir nichts Ernsthaftes zugestoßen. Jetzt stehe ich zweimal in Eurer Schuld.« Er griff in seine Tasche, zog das kleine Gefäß hervor. » Seht doch! Wie durch ein Wunder ist es unversehrt geblieben. Miriam wird sich freuen, wenn ich ihr Linderung verschaffen kann.«
Dann fiel sein Blick auf die Stute, die den Schweif eingeklemmt hatte, als ob sie sich fürchtete.
» Aber das ist doch …«, rief er und ging langsam auf sie zu. » Peppi, die Stute, die ich der Witwe Arnheim besorgt habe!« Er schüttelte den Kopf. » Wie kommt Ihr an dieses Pferd? Und wieso ist es in solch einem schlimmen Zustand?«
» Sie hat die Stute von Euch?«, fragte Vincent zurück.
» Ich war der Einzige, der ihr damals helfen konnte«, sagte Mendel ben Baruch. » Ohne ein Pferd hätte sie ihren Weinausschank auf der Stelle schließen müssen. Was ist mit Johanna Arnheim? So antwortet doch, ich bitte Euch! Sie würde doch niemals zulassen, dass ihre Stute …«
Sein Gesicht war so sorgenvoll, dass Vincent beschloss, ihm zu vertrauen.
» Das hat ihr Schwager zu verantworten«, sagte er. » Ihm habe ich das Pferd vorhin abgekauft, damit er es nicht weiter misshandelt. Allerdings weiß ich jetzt nicht recht, wohin damit.«
» Überlasst es mir!«, sagte Mendel ben Baruch. » Ich werde dafür sorgen, dass die Stute gesund gepflegt wird. Ist ihr Zustand wieder gut, bringe ich sie Euch zurück – das Mindeste, was ich für Euch, meinen doppelten Helfer in der Not, tun kann!«
» Damit würdet Ihr mir einen großen Gefallen erweisen«, sagte Vincent. » Ihr findet mich in der Marzellenstraße.«
Mendel begann den Hals der Stute zu streicheln, was sie sich sichtlich gern gefallen ließ. Danach kraulte er sie zwischen den Ohren.
» Und die Witwe Arnheim?«, fragte er schließlich. » Fast traue ich mich nicht mehr, noch einmal nach ihr zu fragen. Sie ist nicht mehr im Lilienhaus?«
Vincent schüttelte den Kopf.
» Wo ist sie dann?«, flüsterte Mendel ben Baruch.
» Betet für sie!«, erwiderte Vincent. » Mehr könnt Ihr gerade nicht für sie tun.«
» So
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