Die Pestmagd
geschwungen hätte. Niemand, der sich frank und frei zum neuen Glauben bekannte. Selbst die Übereifrigsten, die früher kaum eine Gelegenheit ausgelassen hatten, sich in ihren Schmähungen hervorzutun, schienen jäh verstummt. Es war, als hätte die Seuche allen das Maul verschlossen. Dabei sollten sie es doch weit aufreißen, damit er sie aufspüren und zur Strecke bringen konnte!
Besonders schmerzhaft dabei war, dass die Kleine aus dem ersten Pesthaus weiterhin so beharrlich schwieg. Er selbst konnte sich diese Nele ja nicht vornehmen, ohne sich zu verraten, aber sowohl Christian als auch Ruch waren mit ihren Befragungen keinen Schritt weitergekommen. Nicht einen Namen hatte sie bislang ausgespuckt, kein einziges Haus, in dem heimliche Bibelstunden abgehalten wurden, preisgegeben. Dabei wusste er, dass ihre tote Mutter zu den eifrigsten Ketzerinnen gehört und die Tochter von klein auf zu den Zusammenkünften mitgenommen hatte.
Vielleicht musste man den Druck auf Nele erhöhen, damit sie endlich redete, sie erneut einsperren, hungern lassen oder anderen Strafen aussetzen, die sie gefügig machen würden. Doch die Kleine war listig und zäh, das hatte sie bereits bewiesen. Es konnte dauern, bis sie sie endlich so weit hatten, wertvolle Zeit, die ihm durch die Finger rann.
Er gedachte nicht, länger untätig zu bleiben. Ein Zufall war ihm dabei zu Hilfe gekommen, eine Gelegenheit, die er beim Schopf packen würde – auch wenn sie Gefahren in sich barg.
Während er seine Bruche schloss und dabei Bela beobachtete, wie sie sich zwischen den Laken rekelte, als sei sie mehr als erleichtert darüber, endlich wieder für sich zu sein, stimmte Rutger sich innerlich auf das ein, was vor ihm lag.
Ob sie ihn im letzten Augenblick abweisen würden?
Er setzte auf das Mitgefühl der jungen Badersfrau, die ihm diese kühne Idee eingegeben hatte, als er mithörte, was sie einer anderen Frau aufgeregt zugezischt hatte.
» Soll ich morgen wiederkommen?«, fragte er, während er die Münzen auf das Bett zählte. » Sag wenigstens, dass du Sehnsucht nach mir hast!«
Bela leckte sich die Lippen wie eine satte Katze.
» Du tust doch ohnehin, was du willst«, sagte sie gleichgültig.
» Und genau dabei werde ich auch bleiben!«
Es enttäuschte Rutger, dass sie nicht einmal aufstand, um ihn zur Tür zu bringen, aber er ließ es sich nicht anmerken. Mit großen Schritten stapfte er hinaus in den kühlen Herbstabend.
Der Weg in die Hohe Straße war nicht lang, und doch war es unangenehm, gegen den kalten Wind zu kämpfen, der ihm in die Kleider fuhr. Ihm graute vor den langen dunklen Nächten, die jetzt bald wieder anbrechen würden, vor der Einsamkeit, die ihn in der Nähe seiner Frau überfiel, mit der er sich nichts mehr zu sagen hatte. Mehr als einmal hatte er schon überlegt, sich ihrer auf die gleiche Weise zu entledigen, wie er es mit den Ketzern vorhatte, doch bislang war er stets davor zurückgeschreckt.
Als er die Apotheke erreicht hatte, überfiel ihn ein seltsames Prickeln. Und wenn er sich verraten würde? Er wusste doch so wenig von der Irrlehre, der sie anhingen!
Dann aber atmete Rutger Neuhaus tief aus und klopfte an die Tür.
Zu seiner Überraschung öffnete ihm nicht die Schwangere, wie er gehofft hatte, und es war auch nicht das spitze Gesicht ihres Vaters, das ihm durch den Spalt entgegenlugte.
» Ihr wünscht?« Ludwig Weißenburg klang alles andere als erfreut.
» Sola gratia«, erwiderte Neuhaus, seine einzigen lateinischen Worte, die er sich mühsam eingeprägt hatte.
Die Türe bewegte sich um keinen Deut. Und wenn sie ihre Losung inzwischen geändert hatten?
» Wollt Ihr mich nicht einlassen?« Rutger Neuhaus zwang sich zu einem bittenden Lächeln.
» Ausgerechnet Euch?«, entgegnete Weißenburg voller Misstrauen. » Meine Frau hat mir nichts davon gesagt. Und einen wie Euch hätte ich am allerwenigsten hier erwartet.«
» Das hat sie sicherlich bloß vergessen.« Rutgers Lächeln wurde breiter, wenngleich ihm die Mundwinkel dabei wehtaten. » Ihr seid über mich erstaunt? Dann kennt Ihr Eure Bibel wohl nicht gut genug. Steht nicht schon in der Heiligen Schrift geschrieben, dass Jesus den reuigen Sünder tausendmal mehr liebt als jeden Gerechten?«
Noch immer versperrte die kräftige Gestalt Weißenburgs ihm den Zugang. Finster starrte er ihn an.
In diesem Moment beschloss Rutger Neuhaus, dass der Bader der Nächste sein würde.
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Er musste es wenigstens noch einmal versuchen, auch wenn er
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