Die Pestmagd
ihr war der Mann mit der abgeschnittenen Geldkatze eingetroffen, der sich schon einmal als unbrauchbares Opfer erwiesen hatte. Auch ihn schien die Apotheke verschluckt zu haben, als verberge sich in ihrem Inneren ein gefräßiges Maul.
Die Krähe schaute sich prüfend um. Ein Stück entfernt wartete das Pferd des Fremden, eine Stute, so klapprig, als wäre sie kurz vor dem Verhungern. Für einen Moment reizte es ihn, sie zu besteigen und mit ihr davonzugaloppieren. Aber er hatte zu wenig Erfahrung im Reiten, um das ohne Sattel zu riskieren, und wie weit würde er mit dieser Mähre schon kommen?
Sein Blick flog hinüber zu den wartenden Männern. Die Schmeißfliegen wurden langsam ungeduldig, das konnte er spüren. Ein Ruck schien durch sie zu gehen, als die Tür aufging und der Jude mit dem gelben Hut herauskam. Er schien guter Dinge zu sein, und auch die Schultern waren nicht mehr ganz so zusammengesunken wie bei seiner Ankunft.
» Da ist er!«, hörte er einen der Männer schreien. » Auf ihn – Brüder! Greift ihn euch!«
Überraschend schnell lösten die Schmeißfliegen sich von den Wänden und rannten auf den Juden zu. Der war überrascht, versuchte erst nach links zu fliehen, dann nach rechts, doch die Angreifer waren zu zahlreich. Ein halbes Dutzend grimmig dreinblickender, offenbar zu allem entschlossener Männer umkreisten ihn und schnitten ihm damit den Weg ab. Zwei packten ihn und warfen ihn zu Boden. Einer begann nach ihm zu treten.
» Nie wieder wird einer von euch unsere Brunnen vergiften!«, schrie er dabei. » Dafür sorgen wir!«
Die Krähe war auf einmal dicht hinter ihm.
» Lass ihn in Ruhe!«, sagte er und drückte zur Unterstützung seiner Worte sein scharfes Messer gegen den Schenkel des Mannes. » Sie machen doch nicht die Pest, du Dummkopf!«
Für einen Moment war der Überraschte ganz starr, dann jedoch kamen zwei seiner Kumpane und zerrten die Krähe weg. Der wand und drehte sich, wie der Alte es ihm beigebracht hatte, und schaffte es, sich zu befreien. Das Messer in der Hand, hielt er sich die Angreifer vom Leib.
Ein Stück weiter warfen sich inzwischen zwei weitere auf den Juden, der noch immer am Boden lag, und schlugen mit den Fäusten auf ihn ein. Zunächst blieb er stumm und versuchte sich gegen sie zu wehren, so gut es ging, dann jedoch schienen sie ihn ernsthaft getroffen zu haben, denn seiner Kehle entrang sich ein tiefer, lauter Schrei.
» Gib es ihnen!«, rief die Krähe. » Lass dich nicht unterkriegen! Ich bin gleich bei dir …«
Ein Schlag in den Rücken raubte ihm den Atem. Einer der Männer hatte einen Knüppel gezückt, mit dem er auf ihn eindrosch, als wollte er ihm das Lebenslicht auslöschen. Die Krähe duckte sich, doch jetzt trafen die Schläge schmerzhaft seinen unteren Rücken.
Mit letzter Kraft drehte er sich zur Seite, bekam seinen Peiniger zu fassen und stieß ihm das Messer in den Schenkel.
Der Mann jaulte auf. » Das Schwein hat mich gestochen. Fasst ihn!«
Zwei seiner Kumpane packten die Krähe und drehten ihm das Handgelenk um, bis ihm schwarz vor Augen wurde. Das Messer entglitt ihm, fiel zu Boden.
» Hört sofort auf!« Eine tiefe Männerstimme drang nur allmählich in die Agonie der Krähe. » Ich bin Vincent de Vries, Medicus des Erzbischofs. Wenn ihr nicht sofort von diesem unschuldigen Juden ablasst, werde ich dafür sorgen, dass ihr alle miteinander in den Frankenturm gesperrt werdet!«
Ben Baruch erhielt noch ein paar lustlose Tritte, dann zogen sich die Männer zögernd zurück.
Die Krähe konnte wieder nach Luft schnappen.
» Die Pest ist die wohl furchtbarste Seuche der Menschheit«, fuhr der Medicus fort. » Jeden kann sie treffen: dich, dich, mich. Keiner ist gegen sie gefeit. Aber sie verbreitet sich nicht durch vergiftete Brunnen. Wer das behauptet, ist dümmer als ein kopfloses Huhn.«
» Jeder weiß doch, dass die Juden schon immer unser Unheil wollten«, begehrte ein Magerer mit einer Hakennase auf. » Sie haben schon früher das Wasser vergiftet und mussten dafür brennen. Warum sollten sie es nicht wieder tun?«
» Es ist ja einfach, die Schuld auf andere zu wälzen, wenn man verzweifelt ist. Aber die Juden sind an der Pest ebenso wenig schuld wie wir Christen. Das mit den Brunnen ist nur eine gemeine Lüge.«
Die Krähe rappelte sich mühsam auf. Dort drüben im Staub glitzerte sein Messer. Er machte ein paar Schritte, dann bückte er sich möglichst unauffällig, um es wieder an sich zu bringen. Dabei schoss ein
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