Die Pestspur
offensichtlich nicht. Sie möchten, dass wir hochoffiziell vor einer extra hierfür gegründeten Untersuchungskommission aussagen. Schon übermorgen kommt ein Teil dieser Kommission nach Staufen, um den Gefangenen zu befragen. Eigentümlicherweise ziehen sie es vor, den Übeltäter in unserem Gewahrsam zu belassen und ihn hier zu befragen, anstatt ihn gleich nach Immenstadt zu holen.«
»Wahrscheinlich möchten sie selbst direkt am Ort des schrecklichen Geschehens recherchieren«, mutmaßte Eginhard, während sein Vater vermutete, dass sie sich ganz einfach die Kosten für die Unterbringung sparen und sich selbst ein paar schöne Tage im Schloss Staufen machen wollten.
»Wenn der Ausschuss – angeführt vom Stadtamtmann Hans Zwick, der gleichzeitig auch höchster Richter im rothenfelsischen Gebiet ist und dem Kraft eines besiegelten Schreibens unseres Grafen die Besetzung und die Leitung einer Untersuchungskommission obliegt – mitsamt seinem Gefolge in Staufen eintrifft, muss im Schloss alles darauf vorbereitet sein«, hatte der Kastellan seine Leute beschworen, nachdem er den Immenstädter Sendboten mitsamt eines Antwortschreibens zurückgeschickt und sämtliche Schlossbewohner zusammengerufen hatte. Spätestens jetzt war es mit dem Müßiggang im Schloss Staufen vorüber gewesen und der Kastellan wieder ganz der alte geworden.
Nur Konstanze war nicht dabei gewesen. Sie hatte einen leichten Rückfall zu verkraften gehabt und sich schonen müssen. Allerdings war es ihr mit der offensichtlich ansteckenden Trägheit der Schlossbewohner jetzt ebenfalls zu dumm geworden und es hatte nicht lange gedauert, und sie hatte von ihrem Krankenlager aus delegiert und das Nötigste organisiert. Da sie noch nicht voll einsetzbar war, hatte ihr Judith bei ihrem letzten Krankenbesuch vorgeschlagen, an allen Tagen, außer am Sabbath , tagsüber ins Schloss zu kommen und zu helfen, solange die hohen Herren aus Immenstadt hier oben weilen würden. Konstanze hatte sich über diesen Vorschlag ihrer Freundin mindestens ebenso gefreut wie Lodewig, der damit rechnen konnte, Sarah in den nächsten Tagen immer hier bei sich zu haben.
Rosalinde richtete die Kammern im kleineren Gästehaus her, das sich nordwestlich direkt an das Herrschaftsgebäude anschloss, und bereitete mit Lodewigs Hilfe die große Tafel im Wappensaal vor. Als sie die vierteilige Platte des riesigen Eichentisches zusammenstecken wollten, ließen sie sich von Ignaz helfen. Dabei hätte Fabios Hilfe auch noch gutgetan. Der Neuzugang hatte zwar bei der Wildfütterung eine gute Figur abgegeben, würde aber erst beweisen müssen, dass man Vertrauen in ihn haben konnte. Er konnte sich zwar im Schlosshof, in den Stallungen und in den Lagerräumen frei bewegen, zu den herrschaftlichen Räumen und zur Vogtei hatte er allerdings noch keinen Zutritt.
*
Noch während der Immenstädter Tross auf dem Weg nach Staufen war, schnitt Rosalinde zwei Säcke Zwiebeln, damit sie einen großen Topf deftige Suppe kochen konnte.
»Da werden die hohen Herren aber furzen müssen«, flüsterte sie kichernd Judith zu, die gerade mit Sarahs Hilfe Brot buk und über diesen derben Gesindescherz überhaupt nicht lachen konnte.
Da Konstanze während der vermeintlichen Pest immer wieder Getreide und sogar Mehl an die Ärmsten der Armen verteilt hatte, war der Getreidevorrat im Schloss gewaltig dahingeschmolzen. Und genügend nachzukaufen war wegen des Marktverbotes auch nicht möglich gewesen. Dass jetzt reiche Immenstädter verköstigt werden mussten, war nicht vorhersehbar gewesen, das hatte sie bei ihrer barmherzigen Großzügigkeit nicht eingeplant gehabt. Wenn das übrig gebliebene Korn im Speicher bis zur nächsten Ernte reichen sollte, durfte jetzt nichts Unvorhergesehenes mehr dazukommen.
»Gut Brot und Rat sind teuer«, pflegte Konstanze immer zu sagen, wenn sich jemand im Schloss darüber beklagte, weil die Hauptmahlzeit schon wieder einmal nur aus trockenem Brot mit Haferschleim bestand.
»Brot zu backen ist eine endlose Geschichte stetiger Arbeit«, hatte sie Rosalinde beigebracht und ihr erklärt: »Hier gedeiht keine einzige Getreideart besonders gut. Der Boden ist nicht sehr fruchtbar und das Klima rau. Außerdem sind unsere Winter hier viel zu lang, um zweimal ernten zu können. Da nützt es auch nicht allzu viel, dass hier seit dem Hochmittelalter die bewährte ›Dreifelderwirtschaft‹ betrieben wird. Aufgrund der vermeintlichen Pest haben die Staufner Bauern im letzten
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