Die Pestspur
Spätherbst kein Wintergetreide säen können, also fällt die Roggenernte aus. Wenn sich nach dem Winter kein Sommergetreide ausbringen lässt, sieht es auch schlecht mit der Ernte von Hafer, Hirse und Gerste aus.«
Obwohl Rosalinde nur die Hälfte von dem, was ihre Herrin ihr einzubleuen versucht hatte, verstanden hatte, war sie daran interessiert gewesen, weswegen sie weiter belehrt worden war: »Das letzte Jahr war schlecht, so ist es nicht verwunderlich, dass es im Dorf keine Mehlvorräte mehr gibt und ich von auswärts zukaufen muss … falls ich überhaupt etwas bekomme. So gesehen bin ich froh, überhaupt noch genügend Getreide zur Verfügung zu haben … auch wenn Mäuse und sogar Ratten dazu beitragen, dass der Vorrat stetig schwindet, obwohl ich auf eine möglichst gute Lagerhaltung bedacht bin.«
Konstanze hatte ihre eigene Methode, die Körner so fein zu mahlen und das Mehl so zu strecken, dass das Endprodukt keine allzu große Herausforderung für die allseits abgeschliffenen Zähne war. Wenn Judith und Sarah sich an Konstanzes Backrezept hielten, würden die Gäste von der Brotqualität begeistert sein. Die Hausherrin wollte es aber nicht übertreiben und nicht alles auftischen, was Küche und Keller eigentlich zu bieten hatten.
»Wer weiß, ob wir unsere Vorräte nicht irgendwann selbst dringend benötigen«, hatte sie zu Judith gesagt, als sie ihr das Küchenzepter in die Hände gedrückt hatte.
Deshalb ließ sie den Rest der feinen Kutteln, den Speck und den Hasen im Eisloch. Der dicke Schnee darauf würde die Leckereien auch dann, wenn die Immenstädter Delegation im Schloss weilte, vor unerwünschtem Zugriff schützen. Dennoch sollte es den Besuchern an nichts fehlen. Sie mochte den städtischen Gesandten zwar zeigen, dass das Schloss Staufen bestens in Schuss war und alles seine Ordnung hatte, wollte aber unbedingt vermeiden, dass die feinen Herren nach ihrer Abreise von Staufen den Eindruck mit nach Immenstadt nähmen, dass es den Dreylings von Wagrain zu gut gehen könnte. Dies war auch der Grund, warum der Kastellan bis auf ein bereits angebrochenes Fass leicht säuerlich schmeckenden Tafelweines alle anderen Weinfässer versteckt hatte. Er würde gleich am ersten Abend darauf hinweisen, dass dieses einzige Fass für alle ausreichen müsste.
Ignaz und Fabio richteten die Stallungen für die Pferde der Gäste her und befreiten den Schlosshof bis auf die letzte Flocke vom Schnee. Auch auf Siegbert und Rudolph, die links und rechts des Haupttores dekorative Rautenfahnen aufgehängt hatten, kamen jetzt ein paar harte Tage zu, da der Kastellan angeordnet hatte, dass in den kommenden Tagen beide Wache halten mussten, damit die Sicherheit der Gäste gewährleistet sei.
*
Als der Immenstädter Tross den Schlossberg hochkam, wurde die große rotgelbe Rautenfahne des Hausherrn gehisst. Zum äußeren Zeichen dafür, dass hohe Gäste aus der rothenfelsischen Residenzstadt im Schloss weilten, hatte sich der Kastellan zu diesem Akt der Ehrerbietung entschlossen, auch wenn dies normalerweise nur bei Besuchen der gräflichen Familie üblich war. Einen guten Eindruck dürfte es auf die Gäste allemal machen. Sowie sie im Schlosshof wären, würde er die Fahne von Lodewig wieder einziehen lassen.
So viel Leben hatte es schon lange nicht mehr im Staufner Schloss gegeben. Wäre nicht auch der Oberamtmann dabei gewesen, hätte der Kastellan das Gefühl bekommen, dass ein paar Immenstädter die Gelegenheit ausnutzten, um es sich zur Abwechslung von ihrem kleinstädtischen Alltag im Schloss Staufen ein paar Tage gut gehen zu lassen.
»Na ja, etwas wird schon dran sein«, flüsterte er seinen Söhnen zu, mit denen er sich über dieses Thema unterhalten hatte, als der Tross durchs Schlosstor ritt.
Die Begrüßung fiel freundlich, aber kurz aus. Aufgrund der Kälte wollte trotz der hochgeschlagenen Pelzkrägen niemand länger als nötig im Freien bleiben. So zog es die durchgefrorenen Männer in die vorgewärmten Stuben.
Während alle anderen ihre Kammern bezogen und sich zum Begrüßungsmahl bereit machten, gingen der Kastellan, der Oberamtmann und der Stadtamtmann die Vorgehensweise für die nächsten Tage durch. Dabei hatte sich Hans Zwick ausbedungen, bis zur Verhandlung ausschließlich als ›Richter‹ betitelt zu werden, wobei er gegen die Anrede ›ehrenwert‹ nichts einzuwenden hätte, auch wenn er nicht unbedingt darauf bestehen würde.
»Denn schließlich bin ich in dieser Eigenschaft
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