Die Pestspur
hatte, trat der Landrichter aus der Runde und ging auf den Kastellan zu.
»Also gut, Wagrain! Weil Ihr einer der Unseren seid, schenken wir Euch Glauben. Und da wir ebenfalls zu der Meinung gelangt sind, dass es ein Unfall war und wir diesem … diesem Josefs Bub und Euch glauben, dass der Verursacher tot ist, werde ich Euren Wunsch in Bezug auf die Aufhebung des Marktverbotes wohlwollend weitergeben. Ich werde zusammen mit Speen ein Schreiben aufsetzen, in dem wir unseren hochwohllöblichen Herrn bitten werden, Gnade vor Recht ergehen zu lassen.«
»Was heißt hier Gnade vor Recht?«, fragte der Kastellan in forschem Ton.
»Bitte, werter Herr Schlossverwalter! Ich habe doch soeben gesagt, dass die Sache bald erledigt sein wird. Also beruhigt Euch. Und jetzt lasst uns endlich zum eigentlichen Grund unseres Hierseins kommen«, gab Zwick zurück, dem die Sache jetzt so langsam lästig zu werden schien. Er war einer derjenigen Beamten, die gerne Punkte abhakten, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob dabei dem Recht wirlich genüge getan wurde.
*
Als sich die meisten Staufner auf dem Marktplatz eingefunden hatten, erklärte der Landrichter den eigentlichen Grund für dieses spontane und unvorbereitete Treffen. Allein die Mitteilung, dass es nicht die Pest gewesen war und für das Massensterben möglicherweise eine einzelne Person zur Verantwortung gezogen werden müsse, löste Empörung, Flüche und lautes Geschrei aus. Dass der Medicus im Verdacht stand, der Urheber dieser Katastrophe zu sein, erzählte er der Menge noch nicht. Als der von vielen gefürchtete und von allen respektierte Mann jedoch erklärte, dass er jeden Einzelnen, der mit der vermeintlichen Pest zu tun gehabt hatte, auch über die Arbeit des Arztes Heinrich Schwartz befragen würde, dachten sich die Menschen ihren Teil. Urplötzlich wandelte sich die ohnehin schon schlechte Stimmung in blanke Wut und wilden Hass.
»Wo ist der Medicus? Wo habt Ihr dieses Scheusal versteckt?«, brach es unvermittelt hervor.
Der erfahrene Landrichter wusste schon, warum er die Sache von Anfang an vorsichtig angepackt hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mensch, der noch nicht einmal ordentlich angeklagt, geschweige denn verurteilt war, vom Volk selbst gerichtet wurde.
»Beruhigt euch, ihr braven Untertanen unseres hochverehrten Grafen Hugo! Beruhigt euch doch endlich!«
Letztendlich war ein kurzer Trommelwirbel vonnöten, um für Ruhe zu sorgen.
Zwick blickte achselzuckend zum Kastellan – wohl wissend, dass er jetzt die Unwahrheit sagen würde. Die Staufner durften nicht erfahren, dass der Medicus immer noch Gefangener des Kastellans war und im Südturm des Schlosses schmachtete. Dann sprach er weiter: »Der Medicus ist bereits in Immenstadt eingekerkert und wird schon bald der Gerichtsbarkeit zugeführt werden. Sollten sich die ungeheuerlichen Vorwürfe, die ihm zur Last gelegt werden, tatsächlich bestätigen, wird er angemessen bestraft. Und dazu benötigen wir eure Hilfe! Erschreckt also nicht, wenn meine Männer im Anschluss an diese außerplanmäßige Versammlung an eure Türen klopfen und euch bitten werden, für eine kurze Befragung mit aufs Schloss zu kommen.«
So geschah es denn auch: Über siebzig Hinterbliebene und sechsunddreißig überlebende Patienten des Arztes Heinrich Schwartz wurden als Zeugen befragt. Auch Propst Glatt – der bei der Anhörung als stiller Beobachter und als Vertreter der Kirche dabei gewesen war – wurde zu einer Aussage geladen. Die Staufner empfanden es als ein Abenteuer, hinter die dicke Wehrmauer blicken und sogar das Hauptgebäude des Schlosses betreten zu dürfen.
Nachdem die schier endlosen Befragungen – die parallel in drei verschiedenen Räumen des Schlosses stattgefunden hatten – abgeschlossen waren, wurden auch noch die einzelnen Tatorte besichtigt; zuerst der Behandlungsraum des Arztes, danach einige Wohnstätten der bedauernswerten Opfer. Schlussendlich warfen sie auch noch einen Blick auf den Kirchhof und die Seelenkapelle.
Eginhard stellte zufrieden fest, dass über die ganzen letzten Tage hinweg ernsthaft und akribisch gearbeitet worden war und selbst die Misthaufen nach Resten der todbringenden Kräuterbeutelchen abgesucht worden waren. Aber diese ekelige Arbeit hatte sich nicht gelohnt.
Nachdem der Protokollführer letztendlich das umfangreiche Geständnis des Gefangenen vorgelesen und von den anwesenden Zeugen hatte unterzeichnen lassen, versiegelte der Vorsitzende das fein
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