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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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die Kräuterfrau nicht genau, wie alt sie eigentlich war. Til schätzte, dass seine Mutter den Siebziger weit hinter sich haben musste. Dieses Alter hatte er errechnet, nachdem sie ihm erzählt hatte, dass seine Großmutter im Tumult der deutschlandweiten Bauernkriege fast als Hexe verbrannt worden wäre, aber mit ihrem Kind hatte entkommen können … und diese Kriege hatten 1525 ihren Höhepunkt erreicht. Seine Mutter sei damals noch ein Wickelkind gewesen. Auch wenn es nicht sicher belegbar war, so hatte sie dennoch ein ungewöhnlich hohes Alter erreicht, das man ihr auch unschwer ansah, owohl sie – bis auf ein Rückenleiden – vor Gesundheit strotzte.
    »Mein Alter verdanke ich meinen selbst gebrauten Kräutersuden und den von Til gemischten Essenzen«, pflegte die geschäftstüchtige Frau ihren Kunden stets zu erzählen. Und dass sie heute noch mutterseelenallein mit ihrem Eselsgespann den steilen Weg über den Hahnschenkel nach Staufen bewältigte und selbst an ihrem Marktstand anzutreffen war, dokumentierte eindrucksvoll ihre Rüstigkeit, was sich als äußerst verkaufsfördernd herausstellte. Obwohl sie auch Männer zu ihren Kunden zählte, hatten gerade die Frauen ständig Fragen an sie. Da sie einerseits zwar die beste Marktschreierin landauf landab war, andererseits aber gewisse Dinge äußerst diskret behandelte, vertrauten ihr alle Frauen, die mit ihr zu tun hatten. Dies galt insbesondere, wenn es um Empfängnisverhütung ging. Die Kräuterfrau stellte eine geheime Rezeptur her, durch deren Einnahme es mit ein bisschen Glück gelang, übermäßigen Kindersegen abzuwenden. Obwohl sie von den Staufnerinnen immer wieder über die Inhaltsstoffe ausgefragt worden war, hatten sie ihr bisher nur einige Teile der segensreichen Rezeptur, die sie aus Hopfen, Rotklee und anderen Bestandteilen zusammenmischte, entlocken können. Darüber hinaus wussten sie nur vage von einer geheimnisvollen Wurzel, die ein Königsegger von einer Reise aus dem fernen Amerika mitgebracht haben soll. Über geheimnisvolle und verschlungene Wege war diese Wurzelknolle angeblich zur adligen Verwandtschaft nach Aulendorf, und von dort aus nach Immenstadt und über Umwege zur Kräuterfrau gelangt. Dass es sich dabei um die wilde Yamswurzel und Sojabohnen handelte, wussten die neugierigen Staufnerinnen nicht. Und wenn, hätten sie mit diesen fremdartigen Ingredienzien nichts anzufangen gewusst. Sie hörten von der Kräuterfrau nur immer wieder die geheimnisvoll klingende Geschichte, wie diese wertvolle Wurzel und die merkwürdig aussehenden Bohnen zu ihr gelangt waren.
    »Tretet näher!«, hatte sie grinsend gerufen, als ein paar Frauen an ihrem Stand auftauchten. Sie kannte den sich immer wiederholenden Ablauf: Damit keine Männer zuhören konnten, musste sie ihre Geschichte leise erzählen, was ihr natürlich insofern entgegenkam, weil es die Sache noch mysteriöser machte, als sie sowieso schon gewesen war. Die Frauen hatten sich wie immer so dicht um sie geschart, dass kein Durchkommen mehr möglich war. Hätte sich ein Mann neugierig gezeigt, hätte sich die Frauentraube noch mehr verdichtet oder er wäre mit Lästereien vertrieben worden.
    So hatte sie ihre Geschichte auch heute wieder erzählt – aufgrund der aufkommenden Unruhe allerdings in abgespeckter Version: »Es war an einem stürmischen Septembertag des Jahres 1622, als ein großes Schiff namens Atocha im großen Wasser jenseits unserer Welt unterwegs war und an den Florida Keys zerschellt ist«, hatte sie begonnen und keine Pause wie üblich für Rückfragen eingelegt, die sie ihnen heute nicht gestattete. »Auf diesem Schoner waren auch zwei Königsegger einer entfernten Linie des Hauses Rothenfels. Einer der hohen Herren soll mit dem Schiff untergegangen sein, während sich der andere gerettet hat«, hatte sie die Geschichte, wie die geheimnisvolle Wurzel zu ihr gelangt war, lückenlos bis zum Schluss erzählt. Dass der angeblich Gerettete seither nie mehr gesehen worden war, hatte die Erzählung umso interessanter gemacht und viele Spekulationen zugelassen. Wozu sollten sich die Frauen ernsthafte Gedanken über eine Sache in einem fernen Land machen, in dem man eine merkwürdige Sprache benutzte? Sie wussten nicht einmal, was es mit der ›entfernten Linie‹ der Königsegger auf sich hatte oder was ein ›Schoner‹ war. Florida Kies? … ein fürwahr steinig klingender Name für eine Gegend, die am großen Wasser eines fernen Landes lag.
    »Wahrscheinlich handelt es

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