Die Pestspur
sich dabei um ein sumpfiges Waldgebiet«, hatte irgendwann einmal eine der Frauen vermutet. Wie recht sie damit gehabt hatte, war ihr nicht bewusst gewesen.
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Die Frauen des Dorfes wussten, dass sie sich blind auf die Hilfe der Kräuterfrau verlassen konnten. Allerdings war Tils Mutter auf deren absolute Verschwiegenheit angewiesen. Denn sollten die Männer mitbekommen, dass ihre Frauen verhüteten, würden sie womöglich als Hexen angeklagt werden und allesamt auf dem Scheiterhaufen landen.
»Vor ungefähr zweihundert Jahren soll eine unserer Vorfahrinnen in Lindau wegen ihrer Kräuterkenntnisse als Hexe verbrannt worden sein. Aber ihr Wissen wurde durch deren Tochter dennoch still und heimlich von Generation zu Generation weitergereicht«, hatte sie ihrem Sohn Til erzählt, der stolz darauf war, dass ihm dieses kostbare Wissen zuteil geworden war.
Mit einem Mann konnte kein solches Verschwiegenheitsbündnis eingegangen werden, wie es die Frauen mit seiner Mutter eingegangen waren. Da war es trotz Tils beeindruckender Kenntnisse schon gut, dass sie noch lebte und die Fäden spann.
Nur weil sie gemeinsam unschlagbar waren, hatte es ihnen gelingen können, im von Staufen sieben Meilen entfernten Hopfen ein kleines Imperium aufzubauen. Til kam mit seinen Pflanzungen gar nicht so schnell nach, wie es aufgrund der vielen Nachfragen nötig gewesen wäre. Die Ärzte, Apotheker, Bader und sogar die Engelmacherinnen kamen scharenweise von weit her, um seine Produkte zu kaufen oder um seinen Rat zu suchen. Selbst einen wegen seiner Kenntnisse um die Heilkunde hochgeachteten Mönch aus Bregenz durfte er zu seinen Kunden zählen. Sogar Professoren der berühmten Universitäten Konstanz, Freiburg und Tübingen nahmen die weiten Wegeauf sich, um mit dem Kräutermann aus Hopfen Erfahrungen und Wissen auszutauschen.
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Der Totengräber lief mit verkniffenen Augen über den Markt. Allerdings hatte er, nachdem er sein Tauschgeschäft mit dem Bunten Jakob zufriedenstellend erledigt hatte, kein Interesse daran, etwas einzukaufen. Vielmehr wollte er sich vergewissern, ob das durch ihn gestreute Gerücht Wirkung zeigte. Ja, er war es, der das ›stille Sterben‹, wie die Pest auch bezeichnet wurde, klammheimlich ins Gespräch gebracht hatte, ohne dass jemand bemerkt hatte, dass es von ihm gekommen war. Aber warum? Jedenfalls war er mit dem Ergebnis seiner undurchsichtigen Arbeit zufrieden. Wenn sein Vorhaben gelingen sollte, musste er sich nur immer wieder unter dem Siegel der Verschwiegenheit Leni, der Frau des Mesners, anvertrauen. Sie war das größte Klatschmaul des Ortes. Zufrieden beäugte er das Markttreiben und freute sich über das durch ihn entstandene Chaos. Als er beim Lederer, der aus dem Oberallgäuer Bergdorf Kierwang hierhergekommen war, vorbeischlenderte, sah er, wie die Frau des Kastellans gerade einen Schuh aus ihrem Korb herausnahm und dem Schuhflicker über die Theke reichte. Da der Totengräber aus dem Augenwinkel heraus ganz kurz nur einen und nicht zwei Schuhe sah, wurde er neugierig. Einen Moment glaubte er, dass ihm das Schuhwerk irgendwie bekannt vorkam. Da er aber dummerweise nicht hörte, was Konstanze zum Schuhflicker sagte, trat er näher an dessen Stand. Der hatte gerade seine Hand ausgestreckt, um das gute Stück in Empfang zu nehmen, als Konstanze den Atem des Totengräbers in ihrem Genick spürte. Geistesgegenwärtig warf sie das Lederteil dem Schuhflicker – der gar nicht verstand, worum es ging und dementsprechend dumm aus der Wäsche schaute – entgegen und drehte sich gleichzeitig zum Totengräber um.
»Habt Ihr mich erschreckt«, schnaufte sie und überlegte, wie sie den Mann, von dem sie vermutete, dass er ihren Söhnen etwas antun möchte, vom Stand des Schuhflickers weglotsen könnte.
»Ich komme gleich wieder«, sagte sie mit zitternder Stimme in Richtung Schuhflicker, während sie sich beim Totengräber einhakte und ihn vom Stand wegzog.
»Hört, ich habe eine wichtige Information für Euch«, fuhr sie in einer Tonart fort, die an der Wertigkeit ihrer Aussage keinen Zweifel ließ. Allerdings wusste sie noch gar nicht, was sie dem Totengräber eigentlich erzählen sollte.
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Von all dem bekam ihr Sohn Diederich, der gerade in sicherer Entfernung mit Baltus Vögel, dem geistig zurückgebliebenen Sohn des Dorfschmieds, spielte, nichts mit. Obwohl Konstanze wusste, dass der zehnjährige Baltus als bösartig galt und bei geringstem Anlass durchdrehte, konnte sie jetzt kein Auge
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