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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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auf ihren Sohn haben. Und dies, obwohl bekannt war, dass der Narr mit Vorliebe wehrlose Tiere quälte, ihnen mit den Fingern die Augen eindrückte, deren Beinchen ausriss oder zerquetschte. Er war sogar nicht einmal davor zurückgeschreckt, einem Kälbchen zwei lebende Ratten ins Maul zu stecken. Was die Nager in den Gedärmen des hilflosen Tieres angerichtet hatten, muss schrecklich gewesen sein. Trotzdem ließ sie Diederich bei ihm. Sie wollte nicht, dass der Totengräber ihren Sohn erkannte und mit den Geschehnissen auf dem Gottesacker in Verbindung brachte – zumindest jetzt noch nicht. Wenn er den Schuh erkennt, ist alles vorbei, sinnierte sie, nachdem sie den Totengräber schon ein paar Schritte vom Stand des Schuhflickers weggelotst hatte.
    Währenddessen suchte der Blaufärber im Getümmel der nebenan liegenden Budengasse seinen Sohn.
    »Didrik, komm, wir gehen nach Hause! … Didrik! Jetzt komm endlich!«, rief er ungeduldig.
    Als der Totengräber diesen Namen hörte, wurde er schlagartig hellwach und sah sich nach allen Richtungen um. Er löste seinen Arm aus Konstanzes Umklammerung.
    »Jetzt nicht, hohe Frau«, hüstelte er hastig. »Ein andermal vielleicht«, fügte er noch an, während er schon davoneilte.

    *

    Konstanze konnte ihr Glück nicht fassen.
    »Der Kelch ist an uns vorübergegangen«, murmelte sie, während sie sich mit einem Blick nach oben bei der Gottesmutter bedankte und – nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Totengräber tatsächlich weg war – erleichtert zu ihrem Sohn ging. Allerdings war es nicht leicht, ihn von Baltus loszueisen. Der Widerling hatte Diederich fest am Arm gepackt und wollte ihn nicht loslassen. »Hau ab!«, blaffte er dessen Mutter an.
    Da Konstanze um den Geisteszustand des Burschen wusste, versuchte sie es mit Sanftmut. Während sie behutsam damit beschäftigt war, Baltus’ Hände vom inzwischen weinenden Diederich zu lösen, redete sie beschwichtigend auf beide Buben ein.
    »Du brauchst nicht zu weinen, Diederich – wir gehen jetzt nach Hause. Und du Baltus, lässt ihn los. Ihr könnt ein andermal wieder miteinander spielen.«
    Aber es half nichts, Baltus ließ nicht los und drohte, außer Rand und Band zu geraten. So blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Sohn mit sanfter Gewalt zu befreien. Baltus schlug um sich, kratzte und versuchte sogar, sie zu beißen.
    »Ich mach’ dich tot! … Ich mach’ dich tot!«, schrie er so lange, bis jemand seinen Vater, der gerade mit dem Kesselflicker verhandelte, auf die Situation aufmerksam machte. Aber anstatt sich für seinen missratenen Sohn zu entschuldigen, spuckte Baptist Vögel vor der Kastellanin auf den Boden. »Ihr reichen Vasallen des Grafen meint wohl, Ihr könnt Euch alles erlauben, nur weil mein Sohn anders ist als Eure verdammte Brut.«
    Für diese öffentliche Beleidigung könnte sie den Schmied an den Pranger bringen – sie müsste es nur ihrem Mann erzählen, sowie dieser von Stiefenhofen zurück sein würde. Da sie aber Mitleid mit den primitiven Vögels hatte, zog sie es vor, den unliebsamen Vorfall für sich zu behalten. Allerdings wusste sie jetzt, dass sie in Zukunft noch vorsichtiger sein musste. Während sie zum Stand des Schuhflickers zurückgingen, dachte sie an den Totengräber. Ihr war nicht verborgen geblieben, dass er ein auffälliges Interesse gezeigt hatte, als er den Namen Didrik hörte. Diederich oder Didrik? – Das hört sich fast gleich an und kann schnell verwechselt werden, bastelte sie sich in ihrer Sorge fahrig zusammen. Jetzt erst wurde ihr so richtig bewusst, dass und warum ihre Söhne in höchster Lebensgefahr schwebten.

    *

    Den verwirrten Schuhflicker bat sie – ohne in der Aufregung nach dem Preis zu fragen –, den zweiten Schuh möglichst identisch nach dem Muster anzufertigen. »Aber bitte, niemandem etwas davon erzählen. Mein Mann darf das nicht wissen«, flunkerte sie weiter und wollte sich abwenden.
    Aber der Händler winkte ab. »Ich fertige eigentlich keine neuen Schuhe, ich flicke sie nur … aber wartet, edle Frau!« In aller Ruhe zwirbelte er seinen beachtenswerten Schnauzbart, dann nahm er eine rot eingefärbte Ledertasche vom Haken, um sie der Kastellanin zu zeigen. »Seht Ihr, ich nähe Taschen aller Art; diese hier ist zum Umhängen. Die hält was aus!« Dabei streichelte er fast zärtlich übers dicke Hirschleder. »Und seht Ihr diese?« Er nahm eine kleine kompakte Ledertasche vom Verkaufstresen. »Dies hier ist eine Gürteltasche mit dem

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