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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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bekommen hatte. Dass Til das umfangreiche Wissen seiner Mutter mitbekommen hatte, lag daran, dass ihr keine Tochter vergönnt und er ihr einziger Sohn war. Da die Kräuterkunde seit Generationen nur von Frau zu Frau weitergegeben wurde, hätte sie lieber eine Tochter geschult, anstatt einen – in solchen Dingen meist untalentierten – Mann einzuweisen. Damals hatte sie noch gedacht, dass sich Männer nicht für die Kräuterkunde eignen würden. Aber sie hatte sich in ihrem Sohn getäuscht. Til war der einzige männliche Kräuterkundige im großen Umkreis geworden, der auch daß alte Wißen um die Hexerey beherrschte.

    *

    Nachdem Til dem Medicus einen längeren Vortrag gehalten hatte, zupfte er ihn am Ärmel und machte mit dem Kopf eine einladende Bewegung. »Folgt mir!«, sagte er in knappem Befehlston.
    Während der Kräutermann wortlos voranging, erschloss sich dem Medicus die ganze Schönheit dieser gewaltigen Gartenanlage. Er war derart fasziniert, dass er für eine kurze Zeit seine Mission und sogar den Alkohol vergaß. Er war zwar ein heruntergekommener Säufer, aber er war auch ein Medicus, der mehr Jahre auf der Universität verbracht hatte als die meisten seiner Kommilitonen. Und etwas davon schien jetzt in den Vordergrund gerückt zu sein. Er schloss die Augen und sog den strengen Herbalgeruch tief in sich hinein. Als sie über einen Steg gingen, der über einen kleinen Bewässerungsteich führte, blieb Til stehen und breitete beide Hände aus – gerade so, als wolle er sein Reich umarmen. Er schloss die Augen und atmete den vertrauten Duft ein, bevor er sagte: »Ich habe meinen bescheidenen Garten streng nach der ›capitulare de villis et curtis imperialibus‹ angelegt. In meinen Pflanzen liegen die Geheimnisse des Kräutergartens Karls des Großen, der dereinst im fernen Aachen zum ersten Kaiser gekrönt worden ist!«
    Der Medicus schmunzelte, bevor er die Augenbrauen hob und sagte: »Ich kenne des Kaisers ›Verordnung über die Krongüter und Reichshöfe‹ und die darin enthaltene Pflanzenliste.« Diese Antwort erstaunte den Kräutermann dermaßen, dass er jetzt wissen wollte, mit wem er es zu tun hatte. »Wer seid Ihr?«, fragte er knapp, aber höflich.
    »Ich bin ein Medicus, der den Eid des Hippokrates geschworen hat! – Aber … warum mutmaßtet Ihr vorhin, dass ich nicht reinen Herzens bin?«
    »Kommt zur Sache! Was wollt Ihr?«, konterte der Kräuterexperte, der den Medicus richtig einschätzte.
    Da erinnerte sich Heinrich Schwartz an die Worte Martin Luthers, die er vorhin von der alten Frau gehört hatte und riss sich zusammen, um höflich zu bleiben. Er ließ sich nicht provozieren und gab freundlich zur Antwort: »Ich brauche Pflanzen für meine Patienten.«
    »Was für Pflanzen?«
    »Ich benötige vielerlei Gewächse, weil ich im Auftrag des Staufner Propstes gerade einen Behandlungsraum einrichte, um in Staufen Kranken und Verletzten zu helfen. Ich bin derzeit noch der einzige Medicus des Dorfes. Außerdem ist die große Pestilenz von der Weißenbachmühle aus auf dem Weg nach Staufen.«
    »Dass dagegen kein Kraut gewachsen ist, wisst Ihr aber?«, antwortete Til, ohne eine vom Medicus erwartete Reaktion zu zeigen. Da der Kräutermann wusste, dass man Heinrich Schwartz das Staufner Spital nie wieder anvertrauen würde und dieser mit einem Behandlungsraum Vorlieb nehmen musste, ging er mit keinem Wort darauf ein.

    Obwohl der Besucher dem Kräutermann nicht gerade sympathisch war und er ihm auch nicht so recht traute, sah Til keine Veranlassung, ihm die gewünschten Pflanzen vorzuenthalten – zumal es sich nicht nur um einen studierten Medicus, sondern auch noch um den Sohn des ihm bekannten, leider verstorbenen, Doctors Heinrich Schwartz handelte, der im Gegensatz zu seinem Sohn einen hervorragenden Ruf genossen hatte. Außerdem spielte der Medicus zur Unterstreichung seiner Wünsche unübersehbar mit seinem offensichtlich prall gefüllten Geldbeutel.
    Til rief den jungen Mann, über den der Medicus kurz zuvor fast gestolpert wäre, zu sich. Dieser hörte sogleich mit dem Dreschen auf und eilte herbei. Der Kräutermann legte einen Arm um den Burschen und sagte zum Medicus: »Das ist Robert. Er kommt aus Obergünzburg und kann nicht sprechen. Die Schweden haben im Januar letzten Jahres sein Elternhaus abgefackelt und seine Familie bestialisch umgebracht. Wenn ich sein Gestammel richtig gedeutet habe, hat man seinen Vater mit einem Strick rücklings an eine Stadelwand gebunden und ihm

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