Die Pestspur
dann Häkchen in die Augenlider getrieben, dass nicht die allergeringste Vorwärtsbewegung des Kopfes oder das Schließen der Augenlider möglich war, ohne Wahnsinnsschmerzen zu verursachen. So hat Roberts Vater mit ansehen müssen, wie seine Frau von sieben Schweden brutal vergewaltigt worden ist, bevor man sie massakriert hat. Roberts zwölfjährige Schwester hat den Schweden wohl aufgrund ihrer Jugend noch besser gefallen. Sie ist von diesen Drecksäcken immer wieder vergewaltigt worden, bevor sie ein gnädiger Tod erlöst hat. Danach haben sie die tote Mutter mit einem ihrer lebenden Söhne Bauch an Bauch zusammengeschnürt und in den Bach geschmissen. Mit seiner kleinen Schwester und dem anderen Bruder haben sie es dann ebenso gemacht. Robert war der Einzige, der überlebt hat.« Während er dies sagte, strich er dem Burschen sanft über den Kopf. »Als die Schweden tags darauf gehört haben, wie der verwirrte Knabe immer wieder gerufen hat: ›Huhn zu verkaufen! Huhn zu verkaufen!‹, haben sie ihm kurzerhand die Zunge herausgeschnitten und das einzige Huhn, das es in Obergünzburg überhaupt noch gegeben hat, mitgenommen. Sie wollten Robert vermutlich verschleppen, um ihn als Kriegsknecht einzuspannen. Letztendlich haben sie ihn aber in der Nähe von Memmingen wie ein Stück Dreck liegen lassen. Eine Marketenderin der kaiserlichen Truppen hat ihn gefunden und sich seiner erbarmt. Sie hat ihn vor sich aufs Pferd gesetzt und auf ihrem Weg an den Bodensee bis nach Genhofen mitgenommen. Dort hat sie ihn an die Kapellenwand gelehnt, weil sie ihrem sowieso schon erschöpften Klepper den steilen Hahnschenkel hoch nicht zwei Personen zumuten wollte. Sie hat wohl gedacht, dass sich an diesem viel besuchten Ort schnell jemand finden würde, der sich Roberts annehmen würde.« Til schien zu überlegen, bevor er weitersprach: »Jedenfalls hat ein mir seit vielen Jahren bekannter Blattner , der mit einer Fuhre Rüstungen gen Meersburg unterwegs war, den armen Teufel zu mir gebracht, damit ich ihn mit Hilfe meiner Mutter und meiner Kräuter heile.« Während Til vom Schicksal des Buben berichtete und bedauerte, dass ausgerechnet Lutheraner zu solchen Grausamkeiten fähig waren, versuchte er so ganz nebenbei, seine Produkte anzupreisen: »Dank verschiedener Kräutersude und Salben, insbesondere aber der entzündungshemmenden Schafgarbe, haben wir Robert tatsächlich helfen können.«
»Wie habt Ihr das gemacht?«, fragte der Medicus aus echtem Interesse heraus und lockte dadurch den Kräutermann, der sich jetzt ganz in seinem Element befand, aus der Reserve.
»Ich habe dafür eine von meiner Mutter entwickelte Tinktur, die aus Schafgarbenkraut, ein paar anderer Ingredienzien und Obstbranntwein besteht, benutzt.«
»Kann ich diese Tinktur erwerben?«, unterbrach der Medicus.
»Selbstverständlich! Dieses heilsame Mittelchen habe ich immer vorrätig.«
»Würdet Ihr mir genau verraten, wie Eure werte Frau Mutter die Tinktur herstellt?«, schleimte der Medicus und rückte dabei seine Gesichtszüge so zurecht, dass er vertrauenswürdiger aussah.
»Nun, dies soll kein Geheimnis sein. Das zuvor genannte Mischverhältnis lagern wir ungefähr zehn Tage lang bei normaler Raumtemperatur in einer abgedunkelten Kammer, wobei einer von uns das Gemisch täglich mehrmals schüttelt, um es zu extrahieren, dann filtern wir es ab und bewahren es in einer dunklen Flasche kühl auf.«
»Also könnte ich mir für meine Patienten, die eine erste Wundbehandlung benötigen, ebenfalls so ein Gemisch zusammenstellen und davon einen Vorrat anlegen?«, überlegte der Medicus laut, obwohl er nichts Konkretes vom Mischverhältnis erfahren hatte und ihn innerlich jetzt schon der dazu benötigte Schnaps reute.
»Ohne Probleme! Ihr müsst nur darauf achten, dass Ihr die Schafgarbe nicht irgendwo sammelt«, fuhr der geschäftstüchtige Kräutermann fort.
»Ich weiß, wo sie wächst«, verkündete der Medicus stolz.
Da begann Til zu grinsen. »Ja, ja, schon klar. Im Sinswanger Moos! Stimmt’s?«
»Ihr seid fürwahr ein Experte«, bemerkte der Medicus anerkennend, um endgültig festzustellen, dass dieser kleine Mann einer der ganz Großen seines Fachs und unschlagbar war.
Allerdings presste dieser grinsend hervor: »Die könnt Ihr aber nicht nehmen!«
»Warum denn nicht?«, wunderte sich der Medicus, der die von ihm benötigten Schafgarben immer im Sinswanger Moos gestochen hatte.
»Weil dort nur die Sumpfschafgarbe wächst. Sie ist nicht
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