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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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eine künstliche Pause ein, bevor er doch noch halbwegs offen aussprach, worum es hier ging. »Irgendeine hinterfotzige Seuche scheint umzugehen«, sagte er scheinheilig und wartete darauf, dass sein Patient selbst aussprechen würde, dass es sich nur um die Pestilenz handeln konnte.
    Dabei bemerkte er zufrieden, wie sich die Pupillen des Rotgerbers angsterfüllt weiteten und er aus seinem mit faulen Zähnen übersäten Mund die Frage hervorquetschte: »Die … die Pest?«
    Der Arzt schüttelte abwehrend den Kopf. »Das habe ich nicht gesagt! Es wäre möglich, muss aber nicht sein.«
    »Was ist es dann – Ihr wollt mich doch nur beruhigen«, winselte der arme Mann.
    Der Medicus zuckte mit den Schultern und nahm zielstrebig seinen Faden wieder auf: »Wie schon gesagt, ich habe Mitleid mit allen, die krank sind und kein Geld haben, um mich gebührend zu entlohnen. Deswegen habe ich sogar die Kosten für die Kräuter aus meinem eigenen Beutel bezahlt. Da aber immer mehr Menschen zu mir gekommen sind, um meine Dienste in Anspruch zu nehmen, ist mein gesamter Heilkräutervorrat zur Neige gegangen, und ich musste extra bis ins schweizerische Zürich reisen, um mich auf dem dortigen Kräutermarkt frisch einzudecken, um …«
    »So weit?«, entfuhr es dem Rotgerber ungläubig.
    Der Medicus nickte. »Ja! Denn nur dort gibt es die seltenen Ingredienzien, die ich zur Behandlung gewisser Krankheiten benötige. Das Geld für die Reise und die Heilkräuter habe ich mir ausgeliehen. Und so lange ich dies nicht zurückbezahlt habe, kann ich mir keine neuen dieser teuren, aber lebensspendenden, Substanzen leisten«, log er den Rotgerber an.
    »Habt Ihr wenigstens noch so viel, dass Ihr mich behandeln könnt?«, fragte der unruhig gewordene Handwerker wieder, hatte dieses Mal aber einen derart flehentlichen Ton am Leibe, dass der Medicus in sich hinein schmunzeln musste, anstatt sofort zu antworten, weshalb er seinen Patienten weitersprechen ließ: »Ich habe nicht viel, aber ich kann Euch einen halben Gulden geben. Ist das genug für die Behandlung und die Medizin? Dann nehmt Euch endlich meiner an … Bitte!«
    Heinrich Schwartz war hochzufrieden darüber, dass der Rotgerber den neuen Tarif – ein Wahnsinnsgeld, wenn man bedachte, dass man schon mit hundertfünfzig bis zweihundert Gulden ein kleines Bauerngütlein erwerben konnte – selbst vorgab. Er hatte sich eigentlich mit einem Viertelgulden bescheiden wollen. Das wäre dann gleich viel gewesen, wie der Totengräber für eine Beerdigung bekam. Aber so war es noch besser. Bei hundert Patienten sind das fünfzig Gulden. Eine stolze Summe.
    Dem Totengräber muss ich ja nicht sagen, dass ich mehr verdiene als er, überlegte der Medicus, während er dem Rotgerber zur Antwort gab, dass es in Bezug auf seine hohen Ausgaben zwar knapp sei, aber in Gottes Namen genügen würde.
    Karlheinz Frej war überglücklich und versprach, das Geld noch an diesem Tag von seiner Frau vorbeibringen zu lassen.
    »Ach, noch was! Erzählt bitte niemandem davon, dass ich so menschenfreundlich war und bisher kaum Geld für meine Dienste verlangt habe. Und verratet auch niemandem, dass ich kein Geld mehr für Heilkräuter habe. So lange dies so ist, kann ich niemanden mehr behandeln.«
    »Ja, ja, ja! Aber nun behandelt mich endlich … Bitte!«, flehte der Rotgerber nochmals und sank kraftlos auf den Behandlungstisch zurück.

    Nachdem die Formalitäten geklärt waren, untersuchte der Arzt seinen Patienten ausgesprochen genau, ohne dabei Rücksicht auf dessen unerträgliche Schmerzen zu nehmen. Er wusste, dass der Rotgerber seinen Mund nicht halten konnte und ihn weiterempfehlen würde. Zuerst klopfte er die Brust und andere Körperteile ab, prüfte die Pupillen, die Zunge und den Speichel des Patienten.
    »Hmmm … Ihr habt Fieber – Vielleicht sollten wir schröpfen? – Atmet tief ein und aus … Hmmm … Husten! – Fester!«
    »Sagt, Medicus: Ist es die Pest? Sprecht offen.«
    »Die Lungenpest ist es sicher nicht … und die Beulenpest ist es wahrscheinlich auch nicht. Mit absoluter Sicherheit kann ich das aber nicht sagen, da ich bis dato noch keine Pestkranken behandelt habe. Aber jetzt beruhigt Euch. Ich werde Euch zwei spezielle Kräutersudmixturen zubereiten und mitgeben. Jetzt zieht Euer Wams wieder an und wartet, bis ich die erste Mixtur fertig habe.« Dabei hielt er ihm eine Glaskaraffe entgegen und sagte in strengem Ton: »Pisst hier hinein, damit ich auch noch Euren Urin untersuchen

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