Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
kann.«
    Als der Mann begann, an seinem Beinkleid herumzunesteln, drehte sich Heinrich Schwartz um und tat so, als würde er an einer speziellen Medizin für seinen Patienten arbeiten. Dabei huschte er einmal nach links, um gleich darauf rechts nach etwas zu kramen. Er hielt ein Reagenzglas ins Licht, um dessen Inhalt nachdenklich zu betrachten, klopfte mit einem Becher in der Hand ein paar Mal auf die Anrichte, dass es nur so schepperte, und fuchtelte ständig mit getrockneten Pflanzen herum.
    Er bemüht sich wirklich sehr um mich, dachte sein tief beeindruckter Patient, als er sah, dass sich der Medicus auch noch seinen Urin betrachtete. Dabei merkte er nicht, dass dieser Zinnober nur ein gutes Beispiel für die schauspielerischen Qualitäten des Arztes war.
    »So! Jetzt nehmt dies und brüht es zu Hause – aber erst, kurz bevor Ihr Euer Nachtlager aufsucht – mit einem Quart kochenden Wassers auf, lasst es das Viertel einer Stunde ziehen und trinkt den Sud so lange in kleinen Schlucken, bis die Kanne leer ist. Wundert Euch aber nicht, wenn es Euch zunächst etwas schlechter geht und Ihr sogar Magenkrämpfe bekommt. Glaubt mir: Dies lässt todsicher nach.«
    Das versteckte Grinsen des Arztes sah der Rotgerber nicht.
    »Ach, noch etwas: Wenn der Sud gezogen hat, schmeißt das Säckchen umgehend in den Abort. Hört Ihr: Das ist wichtig!« Der Medicus räusperte sich. Während der Rotgerber überlegte, was dies für einen Sinn haben könnte, machte der vermeintliche Wohltäter eine Kunstpause und sagte dann in strengem Ton: »Wegen der Ansteckung.«
    »Ach so.«
    »Bis mir Eure Frau das Geld bringt, werde ich mit der zweiten Mixtur fertig sein, die ich ihr dann mitgeben werde. Schickt sie heute kurz vor Einbruch der Dunkelheit zu mir, um die Medizin abzuholen.«
    Da der durchtriebene Arzt schätzte, dass die Kräutermischung, die er seinem Patienten jetzt mitgab, erst in den späten Nachtstunden entsprechend wirkte, gedachte er, Vorsicht walten zu lassen. Deshalb wollte er der Frau des Rotgerbers eine heilsame Mischung mitgeben, die dann – nachdem ihr Mann von der ersten Mixtur gestorben und diese im Abort entsorgt worden war – von einem Sachverständigen als absolut harmlos analysiert werden könnte, falls der Tod des Rotgerbers im Nachhinein Fragen aufwerfen und ein Verdacht gegen ihn aufkommen sollte. Immerhin hat mein Patient die Ehre, der erste offizielle Pesttote in Staufen sein zu dürfen, dachte der Medicus und war richtig stolz auf seine Arbeit.

    *

    Nachdem der Rotgerber eine schier endlos erscheinende Dankeszeremonie hinter sich gebracht hatte und endlich gegangen war, begann der Medicus wieder, kleine Leinenstückchen zuzuschneiden und darauf die Kräuter zu portionieren. Dabei hielt er sich ganz genau an seine eigenen Maßvorgaben. Er musste nur noch den frisch verarbeiteten Eisenhut in ausreichender Menge dazugeben und die Beutelchen verschnüren. Da er sich absolut sicher war, dass die Dosis ausreichte, um sogar den Gesündesten und Kräftigsten umzuhauen, mochte er nicht erst auf das Resultat beim Rotgerber warten. So machte er gleich mehrere Dutzend Portionen fertig.
    »Und dass der Sud eines Päckchens für die zweite Stufe in weniger Flüssigkeit aufgebrüht wird als bei Stufe eins, macht ihn umso stärker. Da ist es egal, wie lange er zieht«, ging der Medicus sicherheitshalber nochmals seinen Darreichungsvorschlag laut durch. Für ihn war ganz klar, dass der Rotgerber die kommende Nacht nicht überleben würde. Der Medicus wusste, dass dank seiner ersten Behandlung immer mehr Menschen die gleichen oder zumindest ähnliche Symptome aufweisen und aus Angst vor der Pest zum zweiten Mal seine Hilfe suchen würden. Damit das Tauschgeschäft ›Ware gegen Geld‹ auch ja stattfinden konnte, legte der ansonsten stinkfaule Quacksalber eine unglaublich hektische Betriebsamkeit an den Tag und trieb sich selbst so zur Eile an, dass er dabei fast seinen Durst vergessen hätte – aber eben nur fast. Immerhin würde ihm die Frau des Rotgerbers noch den geschuldeten halben Gulden vorbeibringen, den er zur Feier des Tages in der ›Krone‹ zu flüssigem Gold machen würde.

Kapitel 26

    Seit der gemeinsamen Suche nach Didrik, dem verschwundenen Sohn des Blaufärbers, hatten sich Konstanze Dreyling von Wagrain und Judith Bomberg immer weiter angenähert und schließlich auch angefreundet. Die Frau des Kastellans und die einfache Jüdin verstanden sich prächtig und trafen sich jetzt öfter auf einen

Weitere Kostenlose Bücher