Die Pfade des Wanderers
spielte, wurde aus dem gespenstischen Wimmern echte Musik. Er stellte fest, daß er unabhängig von den Ergebnissen die Sache genoß. Es war eine Sache, ein Instrument so gut zu spielen, bis man das Gefühl hatte, daß es Teil von einem war; etwas ganz anderes dagegen, es voll und ganz zu sich selbst zu machen.
Während er weitersang und weiterspielte, wurde der Himmel heller. Aus flüssiger Durchsichtigkeit wurde Gelb, die erste echte Farbe, die er seit dieser Störung wahrnehmen konnte. Das Gelb verdichtete sich zu einem Gold. Die Sonne schien direkt auf sie zuzuschießen. Diesmal war es nicht das Gnieschie, sondern die helle glühende Kugel, die die Welt erwärmte: die wahre Sonne.
Dann das inzwischen schon vertraute geistige Rucken, ein Augenblick völliger Richtungslosigkeit, Jon-Tom geriet kurz ins Taumeln, als er ums Gleichgewicht kämpfte, mit einer Hand die ihm vom Hals herabbaumelnde Duar haltend, mit der anderen einen Stein.
Wieder zurück.
Aus dem äußeren Rand seines Gesichtsfelds verschwand ein einziger heller Lichtpunkt. Er entbot dem Gnieschie stumm ein Lebewohl und hoffte, daß ihm das Konzert gefallen hatte. Musik klang ihm durchs Gehirn, ließ Länge und Breite seines ganzen Körpers schwingen. Diese Nachwirkungen der Störung und seiner Zeit als Instrument hielten nicht lange vor, was er bedauerte. Nicht alle Störungen führten dazu, daß man sich verloren oder krank vorkam. Ihm waren einige wenige Augenblicke gewährt worden, den Musikertraum zu verwirklichen. Von jetzt an würde er diese Momente musikalischer Offenbarung nur noch in seiner Erinnerung erleben.
Um sie herum stand der Wald wie ein stummer Posten, er wirkte unverändert. Vor sich erblickte er das Lager und die Vorräte. Clodsahamp lag auf dem Rücken, strampelte heftig und versuchte sich aufzurichten. Mudge saß auf einem Stein und grabschte nach verschiedenen Teilen seines Körpers, wie um sich selbst davon zu überzeugen, daß er wirklich zur Festigkeit zurück gefunden hatte. Dormas lag auf der anderen Seite des Feuers am Boden. Schnell rollte sie sich auf die Knie und stand auf. Wieder flugfähig geworden, schoß der erleichterte Sorbl in die Lüfte, um die umliegenden Wälder zu begutachten, flog in engen glücklichen Kreisen dahin, den herausfordernden Ruf seines Clans ausstoßend. Clodsahamp bellte Jon-Tom einen Befehl zu, was diesen aus seiner schnell verblassenden Akkordträumerei riß. »Steh nicht einfach gaffend da, mein Junge! Hilf mir mal. Ich würde mich ja selbst umdrehen, aber ich fürchte, daß die Transformation mich mehr geschwächt hat, als ich zuerst dachte.«
Fauler Sack, dachte Jon-Tom. Der Schildkröt war durchaus in der Lage, aus eigener Kraft aufzustehen.
Doch er legte die Duar beiseite und half, zusammen mit Mudge, dem Hexer auf die Beine.
»Das war wirklich schlimm«, bemerkte Clodsahamp. »Ich hätte es, glaube ich, nicht sonderlich genossen, ohne Skelett durch den Rest des Lebens wandeln zu müssen.«
Mudge nahm wieder an seinem Baum Platz. »Ihr 'abt recht ge'abt, es gibt wirklich noch Schlimmeres, als einen Geschlechtswandel durchmachen zu müssen. Ihr seht wenigstens noch nach was aus. Was mich angeht, so könnte ich wirklich 'nen ordentlichen Schluck vertragen.«
»Unter diesen Umständen meine ich, daß wir alle etwas vertragen könnten.« Clodsahamp watschelte auf ihr Gepäck zu.
»Willst du uns Gesellschaft leisten, Dormas?«
»Unter diesen Umständen könnt Ihr euren hochbetagten Hintern darauf verwetten.«
Die Flasche wurde herumgereicht, und als jeder aus derselben Öffnung getrunken, denselben Alkohol geteilt hatte, war das Band der Gemeinsamkeit stärker geworden denn je.
»Ich verstaue sie gleich mal für Euch, Meister.« Sorbl versuchte mühsam, doch ohne Erfolg, die Gier in seiner Stimme zu verbergen.
»Ich komme schon zurecht.« Der Hexer fingerte an dem Karton herum, aus dem er die Flasche hervorgeholt hatte. »Sonst haben wir nicht mehr lange den Vorzug deiner ausgezeichneten Sehschärfe. Es könnte sein, daß wir die beim nächsten Mal brauchen.«
»Sie sind sicher, daß es schon bald ein nächstes Mal gibt?«
fragte Jon-Tom.
»Von Häufigkeit habe ich nichts gesagt. Es gibt keine Möglichkeit, die Störungen des Wanderers vorherzusagen. Es kann sein, daß wir drei- oder viermal an einem Tag darunter zu leiden haben, um dann wochenlang nichts Aufregenderes zu erleben als eine vorübergehende Sehunschärfe. Eine der wenigen Berechenbarkeiten des Wanderers ist seine
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