Die Pfeiler der Macht
Edward an diesem Abend Emily Maples Tischherr war. Emily, ein schüchternes, hübsches Mädchen von neunzehn Jahren, wurde von ihrem Vater, einem Methodistenprediger, und ihrer Mutter begleitet. Die Eltern waren von dem Haus und der Gesellschaft schlichtweg überwältigt und paßten kaum zu den anderen Gästen. Augusta hatte sie eingeladen, weil sie bei ihrer Suche nach einer geeigneten Braut für Edward allmählich in Panik geriet. Der Junge war inzwischen neunundzwanzig Jahre alt und hatte bisher, sehr zum Mißvergnügen seiner Mutter, für keines der in Frage kommenden Mädchen auch nur einen Funken Interesse gezeigt. Daß Emily attraktiv war, konnte ihm kaum verborgen bleiben; sie hatte große blaue Augen und ein entzückendes Lächeln. Ihre Eltern, soviel stand fest, wären von einer möglichen Verbindung hingerissen, und das Mädchen mußte ohnehin tun, was man ihm befahl. Nur Edward bedurfte vermutlich einer besonderen Aufmunterung. Das Problem war, daß er keinen Grund für eine Verehelichung sah. Er genoß das Leben mit seinen Freunden, in seinem Club et cetera, und der Rückzug in die Beschaulichkeit des Ehelebens reizte ihn wenig. Eine Zeitlang hatte Augusta sich darüber keine Gedanken gemacht, weil sie das für eine normale Phase im Leben eines jungen Mannes hielt. Doch mittlerweile dauerte ihr diese Phase zu lange, und sie fragte sich, ob Edward sie je überwinden würde. Ich glaube, ich muß da ein wenig nachhelfen, dachte sie. Zu ihrer Linken am Tisch hatte Augusta Michael Fortescue plaziert, einen gutaussehenden jungen Mann mit politischen Aspirationen, von dem es hieß, er stünde Premierminister Benjamin Disraeli - seit seiner Erhebung in den Adelsstand Lord Beaconsfield - nahe. Fortescue war die zweite der drei Personen, auf deren Hilfe Augusta bei der Titelbeschaffung angewiesen war. Er war nicht so intelligent wie Hobbes, dafür aber kultivierter und selbstsicherer. Hobbes hatte sie einschüchtern können, Fortescue mußte sie verführen.
Mr. Maple sprach das Tischgebet, und Hastead schenkte ein. Zwar tranken weder Joseph noch Augusta Wein, doch ihren Gästen ließen sie ihn servieren. Als die Consomme aufgetragen wurde, wandte sich Augusta freundlich lächelnd an Fortescue und fragte in leisem, vertraulichem Ton: »Wann dürfen wir damit rechnen, Sie im Parlament zu sehen?«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen diese Frage beantworten«, sagte er.
»Sie müssen wissen, daß man allenthalben große Stücke auf Sie hält und Ihnen eine große Zukunft voraussagt.« Ihre Schmeichelei gefiel ihm, machte ihn aber auch verlegen. »So sicher wäre ich mir da nicht.«
»Und Sie sehen ja auch blendend aus - das kann nie schaden.« Daß Augusta mit ihm flirten wollte, überraschte Fortescue - aber er hatte nichts dagegen.
»Sie sollten nicht auf die nächsten allgemeinen Wahlen warten«, fuhr sie fort. »Warum kandidieren Sie nicht bei einer Nachwahl?
Das sollte doch nicht allzu schwer zu bewerkstelligen sein. Es heißt, der Premierminister hat ein offenes Ohr für Sie.«
»Sie sind sehr freundlich, Mrs. Pilaster. Aber Nachwahlen kosten eine Menge Geld.«
Das war genau die Antwort, auf die Augusta spekuliert hatte, aber das brauchte der junge Mann nicht zu wissen. »Tatsächlich?« fragte sie.
»Und ich bin alles andere als reich.«
»Oh, das war mir nicht bekannt«, log sie. »So gesehen, sollten Sie sich nach einem Sponsor umsehen.«
»Nach einem Bankier vielleicht?« erwiderte er in einem Ton, der halb scherzhaft, halb ernstgemeint klang.
»Unmöglich ist das nicht. Mr. Pilaster ist einer aktiveren Rolle im politischen Leben unseres Landes durchaus nicht abgeneigt.« Wäre er jedenfalls nicht, würde man ihm einen Titel in Aussicht stellen, ergänzte sie in Gedanken. »Und er sieht durchaus nicht ein, daß man als Geschäftsmann unbedingt ein Liberaler sein muß. Unter uns gesagt: Er stimmt viel öfter mit den jüngeren Konservativen überein.«
Ihr vertraulicher Ton gab ihm - wie von Augusta beabsichtigt - den Mut zur Offenheit. Ohne weitere Umschweife kam er zur Sache:
»Von der Unterstützung eines Nachwahlkandidaten einmal abgesehen - in welcher Form oder Funktion würde Mr. Pilaster denn gerne der Nation dienen?«
Das war eine Herausforderung. Sollte sie die Frage beantworten oder weiterhin die indirekte Methode vorziehen? Augusta entschloß sich, ihm ebenfalls reinen Wein einzuschenken. »Vielleicht als Mitglied des Oberhauses. Halten Sie das für möglich?« Sie genoß die
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