Die Pfeiler der Macht
blamiert.«
»Sie wird das sicher lernen.« Joseph zögerte, dann fügte er hinzu:
»Manchmal habe ich den Eindruck, du vergißt deine eigene Herkunft, meine Gute.« Augusta richtete sich zu voller Größe auf.
»Mein Vater besaß drei Läden!« gab sie empört zurück. »Wie kannst du es wagen, mich mit diesem Flittchen zu vergleichen!« Joseph lenkte sofort ein. »Schon gut. Es tut mir leid.« Augusta war immer noch außer sich. »Außerdem habe ich nie in den Läden meines Vaters gearbeitet«, tönte sie. »Ich wurde von Anfang an zur Dame erzogen.«
»Schwamm drüber! Ich habe mich ja schon entschuldigt. Es ist Zeit zum Gehen.«
Augusta verkniff sich jede weitere Bemerkung, doch innerlich kochte sie vor Wut.
Unten in der Halle warteten Edward und Emily, verkleidet als Heinrich II. und Eleonore von Aquitanien. Edward hatte Schwierigkeiten mit dem Befestigen seiner kreuzweise zu bindenden Strumpfbänder aus goldener Litze und sagte: »Geht ruhig schon vor, Mutter, und schickt uns die Kutsche zurück.«
»O nein«, widersprach Emily sofort. »Ich möchte jetzt fahren! Mach deine Strumpfbänder doch unterwegs fest!« Emily hatte große blaue Augen und das hübsche Gesicht eines kleinen Mädchens. In ihrem bestickten Kleid im Stil des zwölften Jahrhunderts und mit der hohen Haube auf dem Kopf sah sie entzückend aus. Augusta wußte inzwischen, daß Emily keineswegs so scheu und schüchtern war, wie sie aussah. Während der Hochzeitsvorbereitungen war deutlich geworden, daß sie durchaus einen eigenen Willen besaß. Die Ausrichtung des Hochzeitsfrühstücks hatte sie bereitwillig Augusta überlassen, bei der Wahl des Kleides und der Brautjungfern jedoch mit bemerkenswerter Sturheit ihren eigenen Willen durchgesetzt.
Beim Einsteigen in die Kutsche und während der Fahrt ging Augusta durch den Sinn, daß die Ehe zwischen Heinrich II. und Eleonore recht stürmisch gewesen war. Sie konnte nur hoffen, daß Emily ihrem Edward nicht allzu viele Scherereien machen würde. Seit der Hochzeit war der Junge ständig schlechter Laune. Augusta hegte den Verdacht, daß irgend etwas zwischen den beiden nicht stimmte. Sie hatte Edward vorsichtig einige Fragen gestellt, um herauszufinden, wo das Problem lag, doch sie hatte kein Wort aus ihm herausgebracht.
Immerhin war er jetzt verheiratet, und das war das wichtigste. Er wurde Teilhaber und war somit ein gemachter Mann. Für alles andere würde sich schon eine Lösung finden lassen. Der Ball begann um halb elf Uhr abends, und die Pilasters kamen pünktlich. Alle Fenster von Tenbigh House waren strahlend hell erleuchtet. Vor dem Gebäude hatte sich schon eine Gruppe Schaulustiger versammelt, und in der Park Lane stauten sich die Kutschen, die darauf warteten, in den Hof gelassen zu werden. Einer nach dem anderen verließen die Gäste ihre Fahrzeuge und schritten unter dem Applaus der Zuschauer, die jede Maske beklatschten, die Portaltreppe hinauf. Augusta sah während des Wartens Antonius und Kleopatra, mehrere Rundköpfe und Kavaliere aus der Zeit des englischen Bürgerkriegs, zwei griechische Göttinnen und drei Napoleons das Haus betreten. Endlich war auch ihre Kutsche an der Reihe, und die Pilasters konnten aussteigen. Im Haus mußten sie erneut anstehen: Die Schlange endete in der Halle und setzte sich über die geschwungene Treppe hinauf bis zum ersten Stock fort, wo der Herzog und die Herzogin von Tenbigh als Salomon und Königin von Saba ihre Gäste begrüßten. Die Eingangshalle war ein einziges Blumenmeer, und die Wartenden wurden von einer kleinen Musikkapelle unterhalten.
Den Pilasters folgten Micky Miranda - er verdankte die Einladung seinem diplomatischen Rang - und seine Frau Rachel. Micky trug den rotseidenen Ornat, der ihn als Kardinal Wolsey auswies, und sah darin forscher und eleganter aus denn je. Allein sein Anblick ließ Augustas Herz höher schlagen. Kritisch musterte sie Mickys Frau, die merkwürdigerweise im Kostüm einer Sklavin erschienen war. Augusta hatte Micky zur Heirat ermuntert, hegte aber gegen das eher unauffällige Mädchen, das seine Hand gewonnen hatte, einen eifersüchtigen Groll. Rachel erwiderte kühl ihren kritischen Blick. Nachdem Micky Augusta die Hand geküßt hatte, nahm sie besitzergreifend seinen Arm. Während sie langsam die Treppe hinaufstiegen, sagte Micky zu Rachel: »Der spanische Botschafter ist da. Denk dran, daß du nett zu ihm bist.«
»Du kannst nett zu ihm sein«, erwiderte Rachel spröde. »Ich halte ihn für einen
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