Die Pfeiler der Macht
Geschäftsverbindungen mitnehmen.«
»Dann ist es also ziemlich gleichgültig, was Mr. Madler denkt und vorhat?«
»Nein, nicht unbedingt. Trotzdem muß ich ein ernstes Wort mit ihm reden. Kommt den weiten Weg von New York hierher, nur um in dieser Angelegenheit Unruhe zu stiften.«
»Sag ihm, daß Hugh eine unmögliche Frau geheiratet hat. Das wird er schon begreifen.«
»Ja, natürlich.« Joseph erhob sich. »Auf Wiedersehen, meine Liebe.«
Augusta stand ebenfalls auf und küßte ihren Ehemann auf die Lippen. »Laß dir ja nichts gefallen, Joseph!« Seine Schultern strafften sich, der Mund verengte sich zu einer dünnen, entschlossenen Linie. »Kommt nicht in Frage!« sagte er.
Als Joseph das Haus verlassen hatte, setzte sich Augusta wieder an den Tisch und nippte nachdenklich an ihrem Kaffee. Ob es sich tatsächlich um eine ernste Bedrohung handelt? fragte sie sich. Sie hatte versucht, Joseph in seiner ablehnenden Haltung zu bestärken, aber das hatte seine Grenzen. Sie wußte, daß sie die Entwicklung der Dinge genauestens im Auge behalten mußte.
Daß Hughs Abschied die Bank teuer zu stehen kommen würde, war Augusta neu. Sie hatte bislang keinen einzigen Gedanken darauf verschwendet, ob mit der Förderung Edwards und der Demontage Hughs womöglich finanzielle Nachteile verbunden waren. Hatte sie etwa die Bank in Gefahr gebracht, das Fundament, auf dem all ihre Hoffnungen und Pläne ruhten? Nein, diese Vorstellung war einfach lächerlich. Das Bankhaus Pilaster war unermeßlich reich; es zu erschüttern stand gar nicht in ihrer Macht.
Augusta war gerade mit dem Frühstück fertig, als Hastead hereinschlich, um ihr mitzuteilen, daß Mr. Fortescue eingetroffen sei und vorzusprechen wünsche. Von einer Sekunde auf die andere war Sidney Madler vergessen. Der Gast war erheblich wichtiger. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Michael Fortescue war »ihr« Politiker, und er fraß ihr aus der Hand. Der frischgebackene Unterhausabgeordnete stand in Augustas Schuld, seit er mit Josephs finanzieller Unterstützung die Nachwahl in Deaconridge gewonnen hatte. Augusta hatte ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben, was sie von ihm als Gegenleistung erwartete: Er sollte ihr bei ihren Bemühungen, Joseph einen Adelstitel zu verschaffen, tatkräftig unter die Arme greifen. Die Nachwahl hatte fünftausend Pfund gekostet - eine stolze Summe, für die man das schönste Haus in London hätte kaufen können, für einen Titel allerdings immer noch recht gering. Besucher pflegten normalerweise am Nachmittag vorbeizuschauen. Wer am Vormittag erschien, hatte daher meist einen dringenden geschäftlichen Anlaß. Er kommt sicher, weil es Neuigkeiten in der Titelfrage gibt, dachte Augusta. Das Herz schlug ihr mittlerweile bis zum Hals. »Führen Sie Mr. Fortescue in den Ausguck«, sagte sie zu ihrem Butler. »Ich komme gleich.« Sie blieb noch ein paar Augenblicke sitzen und versuchte sich zu fassen. Bisher war ihre Kampagne ganz nach Plan verlaufen. Arnold Hobbes hatte in seiner Zeitschrift The Forum eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, in denen er wiederholt die Forderung erhob, mehr Geschäftsleute zu adeln. Lady Morte hatte die Königin darauf angesprochen und Joseph in den höchsten Tönen gelobt; die Königin, so Lady Morte, habe sich davon »beeindruckt« gezeigt. Fortescue hatte in einer Unterredung mit Premierminister Disraeli die Bemerkung fallenlassen, daß es in der öffentlichen Meinung eine deutliche Tendenz zur Befürwortung dieses Vorschlags gebe. Es war durchaus möglich, daß die Bemühungen inzwischen erste Früchte zu tragen begannen.
Augusta konnte die Spannung kaum mehr ertragen. Eilig und ein wenig kurzatmig huschte sie die Treppen hinauf. Der Kopf schwirrte ihr von Worten und Halbsätzen, die sie schon in allernächster Zeit überall zu hören hoffte: Lady Whitehaven ... Der Graf und die Gräfin von Whitehaven ... Sehr wohl, M ' lady ... Wie Eure Ladyschaft wünschen ...
Der Ausguck war ein eigenartiges Zimmer, das sich oberhalb der Eingangshalle befand und durch eine Tür auf halber Höhe der Treppe, die in die erste Etage führte, zu erreichen war. Er verfügte über ein der Straße zugewandtes Erkerfenster, verdankte seinen Namen jedoch nicht diesem, sondern einem ungewöhnlichen Innenfenster, durch das man die Halle im Erdgeschoß überblicken konnte. Wer sich dort aufhielt, ahnte nicht, daß er observiert wurde. Augusta hatte so im Laufe der Jahre manch denkwürdige Beobachtung gemacht. Das Zimmer war
Weitere Kostenlose Bücher