Die Pfeiler der Macht
klein, das Interieur zwanglos und gemütlich, wozu nicht zuletzt die niedrige Decke und der offene Kamin beitrugen. Vormittagsbesucher pflegte Augusta in diesem Raum zu empfangen.
Fortescue wirkte ein wenig angespannt. Augusta setzte sich zu ihm ans Fenster und begrüßte ihn mit einem warmen, aufmunternden Lächeln.
»Ich komme gerade vom Premierminister«, sagte er. Augusta konnte vor Aufregung kaum sprechen. »Haben Sie mit ihm über unser Thema gesprochen?«
»Ja, in der Tat. Es gelang mir, ihn davon zu überzeugen, daß die Zeit für eine Repräsentanz des Bankgewerbes im Oberhaus reif ist. Er ist jetzt geneigt, einen Mann aus der City in den Adelsstand zu erheben.«
»Wunderbar!« sagte Augusta. Gleichwohl irritierte sie Fortescues unbehaglicher Gesichtsausdruck: Überbringer guter Nachrichten sahen gemeinhin fröhlicher aus. »Aber warum sehen Sie dann so trübsinnig drein?« fragte sie beklommen.
»Es gibt auch eine schlechte Nachricht«, sagte Fortescue und wirkte plötzlich beinahe ängstlich. »Und die wäre?«
»Ich fürchte, der Premierminister beabsichtigt, Ben Greenbourne zu adeln.«
»Nein!« Augusta fühlte sich wie geohrfeigt. »Wie ist das möglich?«
Fortescue sah sich in die Defensive gedrängt. »Nun, ich nehme an, er kann adeln, wen er will. Schließlich ist er der Premierminister.«
»Aber ich habe doch nicht um Ben Greenbournes willen all diese
Mühen auf mich genommen!«
»Sie haben recht, das ist eine Ironie des Schicksals«, sagte Fortescue langsam. »Doch, wie dem auch sei: Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand.«
»Sparen Sie sich Ihre Selbstgefälligkeiten!« fuhr Augusta ihn an.
»Ich will nichts mehr davon hören, jedenfalls nicht, wenn Ihnen auch bei zukünftigen Wahlen an meiner Unterstützung gelegen ist!«
Widerspruch flackerte in seinen Augen auf, und einen Augenblick lang dachte Augusta: Ich habe ihn vertrieben, gleich wird er mir sagen, daß er seine Schuld beglichen hat und meiner nicht länger bedarf... Doch da änderte sich Fortescues Blick schon wieder. Er schlug die Augen nieder und sagte: »Ich versichere Ihnen, daß mich diese Nachricht aufs tiefste bestürzt hat.«
»Seien Sie still, und lassen Sie mich nachdenken«, erwiderte Augusta und begann, rastlos in dem kleinen Zimmer auf und ab zu gehen. »Es muß doch eine Möglichkeit geben, den Premierminister zur Änderung seiner Meinung zu bewegen ... Wir brauchen einen Skandal. Was sind die schwachen Stellen Ben Greenbournes? Sein Sohn ist mit einem Mädchen aus der Gosse verheiratet, aber das dürfte wohl noch nicht genügen ...« Wenn der alte Greenbourne den Titel bekommt, dachte sie, vererbt sich dieser später auf seinen Sohn Solly, was wiederum zur Folge hat, daß Maisie über kurz oder lang Gräfin wird ... Allein die Vorstellung schlug ihr auf den Magen. »Welche politische Einstellung hat Greenbourne?«
»Gar keine, soweit mir bekannt ist.«
Augusta musterte den jungen Mann kritisch und merkte, daß er eingeschnappt war. Ich habe ihn zu hart angefahren, dachte sie, setzte sich neben ihn und ergriff mit beiden Händen eine seiner auffallend großen Pranken. »Sie verfügen über ein beachtliches politisches Gespür - was, nebenbei bemerkt, das erste war, was mir an Ihnen auffiel. Sagen Sie mir, was Sie vermuten!« Fortescue schmolz sofort dahin - wie die meisten Männer, die Augusta ihrer freundlichen Aufmerksamkeit für wert befand. »Unter Druck gesetzt, würde er sich wahrscheinlich als Liberaler entpuppen. Die meisten Geschäftsleute sind Liberale, und das gleiche gilt auch für die Mehrzahl der Juden. Aber da Greenbourne mit seinen Ansichten bisher nie an die Öffentlichkeit getreten ist, dürfte es schwierig sein, ihn zum Feind der konservativen Regierung zu stempeln ...«
»Er ist Jude!« sagte Augusta. »Das ist der Schlüssel!« Fortescue sah sie zweifelnd an. »Der Premierminister selbst ist gebürtiger Jude und wurde unlängst als Lord Beaconsfield in den Adelsstand erhoben.«
»Ich weiß, aber er ist praktizierender Christ. Abgesehen davon ...« Fortescue hob fragend eine Braue.
»Abgesehen davon verfüge auch ich über ein gewisses Gespür«, fuhr Augusta fort. »Und dieses Gespür sagt mir, daß Ben Greenbournes Judentum der Schlüssel zu allem ist.«
»Wenn es noch etwas gibt, was ich für Sie tun kann ...«
»Sie haben großartige Arbeit geleistet. Momentan brauchen Sie nichts weiter zu tun. Sollten allerdings den Premierminister erste Zweifel beschleichen, ob Ben
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