Die Pfeiler der Macht
Trotzdem nahm er sie zur Frau - gegen meinen ausdrücklichen Rat, wie ich kaum hinzuzufügen brauche. Wir haben uns sehr bemüht, die Sache geheimzuhalten, was uns wohl auch gelungen ist. Jetzt allerdings besteht dazu kein Anlaß mehr ...« Er unterbrach sich und schluckte mehrmals hart, ehe er weitersprach.
»Nach der Hochzeit unternahmen die beiden eine Weltreise. Das Kind wurde in der Schweiz geboren. Das Geburtsdatum haben sie gefälscht. Als sie nach fast zwei Jahren nach Hause kamen, hätte kein Mensch mehr sagen können, daß das Baby in Wirklichkeit vier Monate älter war, als die Eltern behaupteten.« Hugh war, als hätte sein Herz aufgehört zu schlagen. Es gab da noch eine Frage, die er stellen mußte, obgleich er Angst vor der Antwort hatte: »Wer ... wer war denn der Vater des Kindes?«
»Hat sie nie gesagt«, erwiderte Greenbourne. »Selbst Solly hat es nie erfahren.«
Aber Hugh wußte Bescheid. Das Kind war sein eigenes. Wortlos starrte er den alten Greenbourne an. Ich werde mit Maisie reden, dachte er. Sie muß mir die Wahrheit sagen ... Aber er wußte nur allzugut, daß sie ihm seine Vermutung bestätigen würde. Maisie war nie ein leichtes Mädchen gewesen, auch wenn sie manchmal diesen Eindruck erweckt hatte. Sie war noch Jungfrau gewesen, als Hugh sie verführte. Er hatte sie in jener ersten und einzigen Nacht geschwängert. Dann waren sie durch Augustas Intrige auseinandergebracht worden, und Maisie hatte Solly geheiratet.
Und wie hieß der Junge? Hubert ... ein Name, der so ähnlich klang wie Hugh ...
»Es ist natürlich empörend«, sagte Greenbourne, dem Hughs Fassungslosigkeit nicht entgangen war, deren Ursache er aber nicht begriff. Ich habe ein Kind, dachte Hugh, und die Erkenntnis berührte ihn in seinem tiefsten Innern. Ich habe einen Sohn. Hubert. Genannt Bertie ...
»Ich bin mir indessen sicher, daß Sie nun verstehen, warum ich mit dieser Frau und ihrem Kind nichts mehr zu tun haben will - nun, da mein geliebter Sohn von uns gegangen ist.«
»Keine Sorge«, sagte Hugh geistesabwesend. »Ich kümmere mich schon um die zwei.«
»Sie?« fragte Greenbourne ungläubig. »Was geht Sie das an?«
»Na ja ... Ich bin jetzt vermutlich der einzige, den die beiden noch haben.«
»Lassen Sie sich da nicht auch noch hineinziehen, junger Pilaster«, sagte Greenbourne nicht unfreundlich. »Sie sind ja selbst mit einer nicht ganz unproblematischen Frau verheiratet.« Hugh wollte dem alten Herrn nicht die Wahrheit sagen, doch fiel ihm in seiner Benommenheit auch keine glaubhafte Ausrede ein. Ich muß hier raus, dachte er und erhob sich. »Ich muß jetzt gehen, Mr. Greenbourne. Ich darf Ihnen mein tiefempfundenes Beileid aussprechen. Solly war der beste Mensch, den ich kannte.« Greenbourne deutete eine Verbeugung an, und Hugh ließ ihn allein. In der Eingangshalle mit den verhängten Spiegeln reichte ihm ein Dienstmann seinen Hut. Hugh nahm ihn entgegen und trat hinaus auf den sonnigen Piccadilly. Er wandte sich nach Westen und schlug den Heimweg nach Kensington ein, der ihn durch den Hyde Park führte. Er hätte sich eine Droschke nehmen können, aber er brauchte Zeit zum Nachdenken. Schlagartig sah alles anders aus. Nora war seine Ehefrau vor dem Gesetz, aber Maisie die Mutter seines Sohnes. Nora war selbständig und kam auch allein zurecht, genauso wie Maisie. Das Kind aber brauchte einen Vater. Die Frage, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte, war auf einmal wieder völlig offen. Ein Priester hätte jetzt natürlich gesagt, es bleibt alles beim alten, du bleibst bei deiner Nora, mein Sohn, bei deinem dir kirchlich angetrauten Eheweib. Aber was verstanden Priester schon vom Leben! Der strenge Methodismus der Pilasters hatte bei Hugh nie Wurzeln geschlagen. Nie hatte er glauben können, daß die Antworten auf sämtliche moralischen Probleme der Gegenwart in der Bibel zu finden wären. Maisie hat schon recht, dachte er, Nora hat mich aus kaltschnäuzigem Gewinnstreben verführt und geheiratet. Das einzige, was uns bindet, ist ein Stück Papier. Und das ist, verglichen mit einem Kind, verdammt wenig - dem Kind einer Liebe obendrein, die so stark ist, daß sie trotz vieler Anfechtungen über Jahre hinaus bestehen blieb.
Suche ich nur nach Ausreden? fragte er sich. Ist das alles nicht bloß eine scheinheilige Rechtfertigung, um einer Leidenschaft nachzugeben, von der ich genau weiß, daß sie verwerflich ist? Hugh war hin- und hergerissen.
Er überdachte die praktischen
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