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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Raum.
     
    Ben Greenbournes Domizil, ebenfalls ein Palast, lag nur ein paar Schritte weiter am Piccadilly. Froh darüber, etwas zu tun zu haben, was ihn von seiner Herzensverwirrung ablenken konnte, begab sich Hugh nach seinem Besuch bei Maisie ohne Umschweife dorthin und bat, beim alten Greenbourne vorgelassen zu werden. »Sagen Sie ihm, daß es sich um eine äußerst dringende Angelegenheit handelt«, beschwor er den Butler. Während er auf einen Bescheid wartete, fiel ihm auf, daß alle Spiegel in der Halle verhängt waren. Gehört wahrscheinlich zum jüdischen Trauerritual, dachte er.
    Maisie hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihr Anblick genügte, um sein Herz mit Liebe und Sehnsucht zu erfüllen. Ihm war völlig klar, daß er ohne sie niemals wirklich glücklich sein konnte. Aber Nora war seine Frau. Nachdem er von Maisie zurückgewiesen worden war, hatte sie Wärme und Zuneigung in sein Leben gebracht, und deshalb hatte er sie geheiratet. Wozu schwört man sich vor dem Altar ewige Treue, wenn man sich später doch nicht daran hält? fragte er sich.
    Der Butler führte Hugh in die Bibliothek. Sechs oder sieben Personen verabschiedeten sich gerade von Ben Greenbourne und entfernten sich. Dann war der Hausherr allein. Ohne Schuhe an den Füßen saß er auf einem einfachen Holzstuhl. Auf einem Tisch standen Früchte und Gebäck für die Besucher bereit. Ben Greenbourne hatte die Sechzig überschritten - Solly war ein spätes Kind gewesen - und wirkte alt und verbraucht. Dennoch deutete nichts darauf hin, daß er geweint hatte. Er erhob sich, steif und förmlich wie eh und je, reichte Hugh die Hand und bedeutete ihm, auf einem anderen Stuhl Platz zu nehmen. Greenbourne hielt einen alten Brief in der Hand. »Hören Sie sich das an!« sagte er und begann vorzulesen: »›Lieber Papa, wir haben einen neuen Lateinlehrer, Reverend Green, und ich komme jetzt immer besser mit. Letzte Woche habe ich jeden Tag alle Vokabeln gekonnt. Waterford hat im Besenschrank eine Ratte gefangen und möchte ihr jetzt beibringen, daß sie ihm aus der Hand frißt. Hier gibt es so wenig zu essen. Kannst Du mir einen Kuchen schicken? Dein Dich liebender Sohn, Solomon.‹« Ben Greenbourne faltete den Brief zusammen. »Er war vierzehn, als er das schrieb.«
    Hugh erkannte, daß Greenbourne trotz seiner strengen Selbstbeherrschung furchtbar unter dem Tod seines Sohnes litt. »An die Ratte kann ich mich erinnern«, sagte er. »Sie hat Waterford die Spitze seines Zeigefingers abgebissen.«
    »Ich wünschte nur, ich könnte die Zeit zurückdrehen«, sagte Greenbourne, und seine Selbstbeherrschung erschien nicht mehr so unerschütterlich.
    »Ich muß einer von Sollys ältesten Freunden sein.«
    »Das sind Sie in der Tat. Er hat Sie immer bewundert, obwohl Sie jünger waren als er.«
    »Ich wüßte nicht, aus welchem Anlaß. Aber er dachte immer nur an das Gute im Menschen.«
    »Er war zu weich.«
    Hugh mißfiel die Richtung, die das Gespräch zu nehmen drohte.
    »Ich komme nicht nur zu Ihnen, weil ich Sollys Freund war, sondern auch Maisies wegen.«
    Greenbourne schien zu erstarren. Die Trauer verschwand aus seinem Gesicht, und er verwandelte sich wieder in die Karikatur eines steifen preußischen Soldaten.
    Wie kann man eine so schöne und geistreiche Frau wie Maisie nur derart hassen? fragte sich Hugh und fuhr fort: »Ich lernte sie kurz nach Solly kennen und verliebte mich ebenfalls in sie. Aber Solly machte das Rennen.«
    »Er war reicher.«
    »Mr. Greenbourne, ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich offen zu Ihnen spreche. Maisie war ein mittelloses Mädchen, die einen reichen Ehemann suchte. Aber sie hielt sich nach der Hochzeit an ihre Verpflichtungen. Sie war eine gute Ehefrau.«
    »Und hat ihren Lohn dafür erhalten«, sagte Greenbourne. »Fünf Jahre lang hat sie das Leben einer Lady führen dürfen.«
    »Eigenartig, das sagte sie vorhin auch. Aber ich glaube nicht, daß das ausreicht. Was soll denn aus dem kleinen Bertie werden? Sie wollen doch Ihren Enkel nicht in Not und Elend stürzen?«
    »Enkel?« fragte Greenbourne. »Hubert ist mit mir nicht verwandt.« Es lag etwas in der Luft. Hugh spürte es wie die Vorahnung eines Alptraums: Entsetzliches drohte und war doch namenlos.
    »Ich verstehe nicht«, sagte er. »Was wollen Sie denn damit sagen?«
    »Diese Frau war bereits schwanger, als sie Solly heiratete.« Hugh hielt den Atem an.
    »Solly wußte es, und er wußte auch, daß das Kind nicht von ihm stammte.

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