Die Pfeiler der Macht
besaßen. Aber bei den Pilasters war das alte Puritanertum der Methodisten noch nicht ganz vergessen. Joseph hatte unbeirrt an seiner Meinung festgehalten, Whitehaven House biete ausreichend Luxus für alle, gleichgültig, wie reich man inzwischen sei. Jetzt gehörte das Haus Edward. Augusta dachte daran, ihren Sohn zum Verkauf des Anwesens und zum Erwerb eines noch pompöseren Domizils zu überreden.
Als Hugh das Frühstückszimmer betrat, wartete schon seine Mutter auf ihn; sie war am Vortag mit seiner Schwester Dotty aus Folkestone angereist. Hugh gab seiner Mutter einen Kuß und setzte sich zu Tisch. Ohne Umschweife kam Mutter zur Sache: »Glaubst du, er liebt sie wirklich, Hugh?« fragte sie. Hugh wußte, worüber sie sprach. Dotty, inzwischen vierundzwanzig, war mit Lord Ipswich verlobt, dem ältesten Sohn des Herzogs von Norwich. Nick Ipswich war Erbe eines bankrotten Herzogtums, und Mutter fürchtete, er wäre an Dotty nur ihres Geldes wegen interessiert - oder, präziser gesagt, er habe es auf das Vermögen des reichen Bruders abgesehen.
Hugh betrachtete seine Mutter mit liebevoller Zuneigung. Vierundzwanzig Jahre nach dem Tode seines Vaters trug sie noch immer Schwarz. Ihr Haar war inzwischen weiß, was ihrer Schönheit in seinen Augen jedoch keinerlei Abbruch tat. »Er liebt sie, Mama«, sagte er.
Da Dotty keinen Vater mehr hatte, war Nick bei Hugh vorstellig geworden und hatte förmlich um die Hand seiner Schwester angehalten. Üblicherweise pflegten die Anwälte beider Parteien in solchen Fällen vor der Bestätigung der Verlobung einen Ehevertrag aufzusetzen. Nick hatte jedoch darauf bestanden, genau umgekehrt zu verfahren. »Ich habe Miss Pilaster mitgeteilt, daß ich ein armer Mann bin«, hatte er zu Hugh gesagt. »Sie erwiderte darauf, daß sie aus eigener Erfahrung sowohl den Wohlstand als auch die Armut kenne und auf dem Standpunkt stehe, das Glück im Leben hänge nicht vom Geld ab, sondern von den Menschen, mit denen man zusammenlebt.« Es klang sehr idealistisch. Hugh war selbstverständlich bereit, seiner Schwester eine großzügige Mitgift zukommen zu lassen. Es freute ihn jedoch ganz besonders, daß Nicks Liebe zu ihr echt und nicht von materiellen Erwägungen bestimmt war.
Augusta sah es mit Ingrimm, daß Dotty eine so gute Partie machte. Besonders mißfiel ihr, daß das Mädchen nach dem Tod ihres Schwiegervaters Herzogin werden würde. Dieser Titel zählte weit mehr als der einer einfachen Gräfin.
Dotty kam ein paar Minuten später die Treppe hinunter. Sie hatte sich in einer Weise entwickelt, wie Hugh es nie für möglich gehalten hätte. Aus dem schüchternen, kichernden Gör war eine temperamentvolle dunkelhaarige Frau mit starker sinnlicher Ausstrahlung geworden - eine höchst eindrucksvolle Erscheinung, die auf viele junge Männer vermutlich eher einschüchternd wirkte. Wahrscheinlich lag es daran, daß sie trotz ihrer vierundzwanzig Jahre noch immer unverheiratet war. Nick Ipswich indessen zeichnete sich durch innere Kraft und Ruhe aus, die der ständigen Bestätigung durch ein willfähriges Frauenzimmer nicht bedurfte. Hugh sah eine leidenschaftliche Ehe voraus, in der gelegentlich die Funken fliegen würden ... das genaue Gegenteil seiner eigenen. Sie saßen noch alle am Frühstückstisch, als gegen zehn Uhr Nick seine Aufwartung machte. Hugh hatte ihn um sein Kommen gebeten. Der Gast setzte sich neben Dotty und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Nick war ein intelligenter junger Mann von zweiundzwanzig Jahren. Er hatte in Oxford studiert und - im Gegensatz zu den meisten anderen jungen Aristokraten - auch tatsächlich mit Erfolg die Abschlußprüfung absolviert. Er sah gut aus, hatte regelmäßige, typisch englische Züge, blondes Haar und blaue Augen. Dotty sah ihn an, als wolle sie ihn am liebsten gleich zum Frühstück vernaschen. Hugh beneidete die beiden um ihre unkomplizierte, lustvolle Liebe.
Obwohl er sich für die Rolle des Familienoberhaupts noch zu jung fühlte, kam Hugh sofort zur Sache; das Treffen ging schließlich auf seine Initiative zurück. »Wir beide - dein Bräutigam und ich - haben uns kürzlich sehr eingehend über finanzielle Dinge unterhalten, Dotty«, sagte er.
Mama stand auf und traf Anstalten, sich zu entfernen, aber Hugh ließ das nicht zu. »Auch Frauen sollten sich heutzutage in Geldangelegenheiten auskennen, Mama - das ist der Zug der Zeit.« Sie lächelte, als hielte sie ihn für einen dummen kleinen Jungen, setzte sich aber wieder an
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