Die Pfeiler der Macht
anderthalb Prozent zufriedengeben mußten. Die Teilhaber erhielten sogar noch mehr. Zusätzlich zu den fünf Prozent Zinsen auf ihr investiertes Kapital teilten sie sich nach einem ausgeklügelten Verteilerschlüssel die Profite. Nach einem Jahrzehnt erfolgreicher Gewinnaufteilung hatte Hugh die Hälfte der Strecke auf seinem Weg zum Millionär bereits hinter sich. Am Morgen vor der Beerdigung stand er vor dem Rasierspiegel und forschte in seinem Gesicht nach ersten Anzeichen der Sterblichkeit. Er war jetzt siebenunddreißig Jahre alt. Sein Haar begann zu ergrauen, doch die Bartstoppeln, die er sich aus dem Gesicht kratzte, waren schwarz wie eh und je. Hugh fragte sich, ob er sich einen gezwirbelten Schnäuzer zulegen sollte, um jünger auszusehen; diese Barttracht war gerade en vog u e. Onkel Joseph hat Glück gehabt, dachte Hugh. Während seiner Zeit als Seniorpartner hatte sich die Finanzwelt durch große Stabilität ausgezeichnet. Es hatte nur zwei kleinere Krisen gegeben: den Zusammenbruch der City of Glasgow Bank im Jahre 1878 und vier Jahre später das Ende der französischen Bank Union Generale. In beiden Fällen hatte die Bank of England die Krise eingedämmt, indem sie die Zinsen kurzfristig auf sechs Prozent erhöhte, was noch immer weit unter der Panikschwelle lag. Hugh war der Meinung, daß Onkel Joseph die Bank viel zu stark an Investitionen in Südamerika gebunden hatte - doch bisher war es nie zu dem großen Krach gekommen, mit dem er ständig rechnete. Und dennoch - riskante Investitionen waren wie ein baufälliges Mietshaus: Die Miete läuft ein bis zum Schluß, doch bricht der Bau dann endgültig zusammen, ist alles dahin - sowohl die Miete als auch das Haus. Nun, da Joseph nicht mehr unter ihnen weilte, wollte Hugh die Bank auf ein solideres Fundament stellen und einige der unsicheren Südamerika-Anlagen sanieren oder verkaufen.
Nachdem er sich rasiert und gewaschen hatte, schlüpfte er in seinen Morgenmantel und begab sich ins Zimmer seiner Frau. Da sie am Freitagvormittag immer miteinander zu schlafen pflegten, erwartete ihn Nora bereits. Längst hatte er sich ihrer »Einmal- wöchentlich«-Vorschrift gefügt. Sie hatte stark zugenommen in den letzten Jahren. Ihr Gesicht war feist und rund, wies daher aber auch nur wenig Falten auf. Hübsch war sie immer noch. Er nahm sie, wie sie war. Während er mit ihr schlief, schloß er die Augen und stellte sich vor, mit Maisie im Bett zu liegen. Manchmal hätte er am liebsten Schluß gemacht. Aber die Begattungen am Freitagvormittag waren nicht ohne Folgen geblieben. Er verdankte ihnen bislang drei Söhne, die er abgöttisch liebte: Tobias, der den Namen von Hughs Vater trug; Samuel, den er nach seinem ältesten Onkel genannt hatte; und Solomon, der die Erinnerung an Solly Greenbourne wachhielt. Toby, der älteste, sollte im kommenden Jahr in Windfield eingeschult werden. Nora gebar Kinder ohne Schwierigkeiten, verlor aber nach der Geburt jegliches Interesse an ihnen. Um die fehlende mütterliche Wärme ein wenig auszugleichen, widmete Hugh ihnen viel Zeit und Aufmerksamkeit.
Hughs heimliches Kind, Maisies Sohn Bertie, war mittlerweile sechzehn und ging schon seit Jahren in Windfield zur Schule. Seine Leistungen waren preisverdächtig, und außerdem war er der Star der Kricket-Mannschaft. Hugh zahlte die Schulgebühren, nahm regelmäßig an den Jahresabschlußfeiern teil und hatte insgesamt eine Art Patenrolle übernommen. Längst argwöhnten Zyniker, Hugh könne Berties leiblicher Vater sein. Andererseits war Hugh mit Solly befreundet gewesen, und alle Welt wußte, daß sich Sollys Vater weigerte, den Jungen zu unterstützen. Die meisten Leute sahen daher in Hughs Engagement für Bertie eine großherzige Geste im Andenken an den verstorbenen Freund. »Um wieviel Uhr findet denn die Trauerfeier statt?« fragte Nora, während Hugh sich von ihrem Körper herunterwälzte. »Um elf in der Kensington Methodist Hall. Danach gibt's Lunch in Whitehaven House.«
Hugh und Nora lebten nach wie vor in Kensington, waren jedoch, als die Kinder kamen, in ein größeres Haus umgezogen. Hugh hatte Nora die Wahl überlassen. Sie hatte sich für eine große Villa entschieden, die im gleichen verspielten Stil wie Augustas Haus gehalten war. Überhaupt war dieser Stil inzwischen sehr in Mode gekommen, zumindest in den Vororten von London. Augusta war mit Whitehaven House nie zufrieden gewesen. Was ihr vorschwebte, war ein Palast am Piccadilly, so wie die Greenbournes einen
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