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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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es kaum fassen«, sagte Edward. »Ich weiß, daß Micky in mancher Hinsicht ein böser Kerl ist, aber die Vorstellung, daß er Menschen umbringt ...«
    »Ja, dazu ist er imstande«, sagte Augusta.
    »Wie kannst du dir da so sicher sein?«
    Edward sah so elend aus, daß Augusta versucht war, ihn in ihr eigenes Geheimnis einzuweihen. Ob das ratsam war? Schaden konnte es jedenfalls nicht. Edward stand noch unter dem Schock, den Hughs Enthüllung hervorgerufen hatte, und wirkte ungewöhnlich nachdenklich. Vielleicht tut ihm die Wahrheit gut und macht ihn ein bißchen ernsthafter. Sie gab sich einen Ruck und sagte: »Micky hat auch deinen Onkel Seth umgebracht.«
    »Gott im Himmel!«
    »Er hat ihn mit einem Kissen erstickt. Ich habe ihn auf frischer Tat ertappt ...« Ihr wurde heiß um die Lenden, als sie an die Szene danach dachte.
    »Aber warum? Warum hat er Onkel Seth getötet?«
    »Er wollte unbedingt, daß diese Waffenlieferung nach Cordoba zustande kam, erinnerst du dich nicht?«
    »Doch, doch, ich entsinne mich.« Edward schwieg, und Augusta schloß die Augen und durchlebte noch einmal die lange, heiße Umarmung mit Micky im Zimmer des Toten. Edward riß sie aus ihren Träumen. »Da ist noch etwas, und es ist noch schlimmer. Erinnerst du dich an Peter Middleton, diesen Schüler?«
    »Selbstverständlich.« Augusta würde den Jungen nie vergessen. Sein Tod verfolgte die Familie bis auf den heutigen Tag. »Was ist mit ihm?«
    »Hugh sagt, daß Micky auch ihn auf dem Gewissen hat.« Jetzt war es an Augusta, schockiert zu sein. »Was? Nein, das kann ich einfach nicht glauben.«
    Edward nickte. »Er hat mit voller Absicht Peters Kopf unter
    Wasser gedrückt und ihn ertränkt.«
    Es war weniger der Mord, der Augusta erschütterte, als die Erkenntnis, daß Micky sie alle betrogen hatte. »Hugh saugt sich das aus den Fingern!« rief sie.
    »Er sagte, daß Tonio Silva die ganze Sache gesehen hat.«
    »Aber das hieße doch, daß Micky uns all die Jahre aufs Übelste hinters Licht geführt hat!«
    »Ich glaube, so ist es, Mutter.«
    Mit wachsendem Entsetzen erkannte Augusta, daß Edward einer so abenteuerlichen Geschichte nicht ohne Grund Glauben schenken würde. »Wieso bist du so ohne weiteres bereit, Hugh alles abzunehmen, was er dir erzählt?«
    »Weil ich etwas weiß, wovon Hugh keine Ahnung hatte. Es bestätigt aber seine Behauptung. Micky hatte einem Lehrer Geld gestohlen. Peter wußte es und drohte, ihn anzuschwärzen. Micky suchte verzweifelt nach Mitteln und Wegen, ihn zum Schweigen zu bringen.«
    »Micky hatte nie viel Geld«, erinnerte sich Augusta und schüttelte ungläubig den Kopf. »Und wir bilden uns all die Jahre ein ...«
    »... daß ich an Peters Tod schuld war.« Augusta nickte.
    »Und Micky ließ uns in diesem Glauben!« fuhr Edward fort. »Ich kann das einfach nicht fassen, Mutter. Ich hielt mich für einen Mörder, und Micky wußte genau, daß ich keiner war, hat es mir aber nie gesagt. Ist das nicht ein furchtbarer Mißbrauch unserer Freundschaft?«
    Augusta betrachtete ihren Sohn teilnahmsvoll. »Wirst du ihn fallenlassen?«
    »Daran führt kein Weg vorbei.« Edward war tieftraurig. »Aber er ist doch mein einziger echter Freund.«
    Augusta war dem Weinen nahe. Da saßen sie nun, schauten einander in die Augen und dachten darüber nach, was sie getan hatten und warum es so gekommen war.
    Edward sagte: »Seit fast fünfundzwanzig Jahren haben wir ihn wie ein Familienmitglied behandelt. Und nun stellt sich heraus, daß er ein Ungeheuer ist.«
    Ein Ungeheuer, dachte Augusta, das ist das richtige Wort. Und dennoch liebte sie ihn. Obwohl er drei Menschen getötet hatte, liebte sie Micky Miranda. Obwohl er sie schnöde betrogen hatte, wußte sie, daß sie ihn, käme er in diesem Moment zur Tür herein, am liebsten in die Arme schlösse.
    Sie sah ihren Sohn an und erkannte an seiner Miene, daß er das gleiche empfand wie sie. Geahnt hatte sie es wohl schon lange, aber erst jetzt gestand sie es sich ein. Auch Edward liebte Micky Miranda.
     

2. Kapitel
    Oktober 1890
     
    Micky Miranda war besorgt. Er saß in der Lounge des Cowes Club, rauchte eine Zigarre und grübelte darüber nach, auf welche Weise er Edward beleidigt haben könnte. Edward ging ihm eindeutig aus dem Weg. Er mied den Club, kam nicht mehr zu Nellie's, ja, er erschien nicht einmal mehr zur Teestunde in Augustas Salon. Seit einer Woche hatte Micky ihn nicht mehr gesehen. Augusta hatte auf seine Frage, was denn los sei, geantwortet, sie habe

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