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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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deinen Vetter Edward gesehen? Er scheint verschwunden zu sein.«
    »Er kommt jeden Tag in die Bank.«
    »Ach so?« Micky zögerte. Als Hugh ihn nicht bat, Platz zu nehmen, fragte er: »Was dagegen, wenn ich mich setze?« und ließ sich, ohne die Antwort abzuwarten, auf einem Stuhl nieder. Dann fragte er mit leiser Stimme: »Hast du zufällig eine Ahnung, ob ich ihn irgendwie beleidigt haben könnte?«
    Hugh dachte einen Augenblick nach, ehe er antwortete. »Ich wüßte keinen Grund, warum du es nicht erfahren solltest. Edward hat herausbekommen, daß du Peter Middleton umgebracht und ihn vierundzwanzig Jahre lang belogen hast.« Micky wäre vor Schreck fast vom Stuhl gefallen. Wie, zur Hölle, war das herausgekommen? Um ein Haar hätte er Hugh diese Frage auch gestellt. Erst in letzter Sekunde fiel ihm ein, daß dies einem Geständnis gleichgekommen wäre. Er spielte statt dessen den Wütenden und stand abrupt auf.
    »Vergiß, was du da gesagt hast«, zischte er. »Ich will es nicht gehört haben.«
     
    Er brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, daß ihm von der Polizei nach wie vor keine Gefahr drohte. Niemand konnte die Tat beweisen, und außerdem lagen die Ereignisse inzwischen so lange zurück, daß eine Wiederaufnahme des Verfahrens sinnlos erscheinen mußte. Die eigentliche Gefahr bestand darin, daß Edward sich nun wahrscheinlich weigern würde, die zwei Millionen Pfund herauszurücken, die Papa so dringend benötigte. Er mußte Edward umstimmen, ihn dazu bringen, daß er ihm verzieh. Voraussetzung dafür war jedoch, daß er mit ihm reden konnte.
    Da noch ein diplomatischer Empfang in der französischen Botschaft und ein Abendessen mit konservativen Parlamentsabgeordneten auf seinem Programm standen, ließ sich an diesem Abend nichts mehr unternehmen. Am nächsten Tag um die Mittagszeit fuhr er jedoch zu Nellie's, holte April aus dem Bett und überredete sie, Edward die Nachricht zu übermitteln, er solle am Abend ins Bordell kommen; sie habe »etwas Besonderes« für ihn. Micky ließ sich Aprils schönstes Zimmer und Edwards gegenwärtige Favoritin, ein schlankes schwarzhaariges Mädchen namens Henrietta, reservieren. Sie sollte am Abend in Frack und Zylinder erscheinen. Edward fand Männerkleidung sexy. Abends gegen halb zehn war er zur Stelle und wartete auf Edward. Im Zimmer standen ein riesiges Himmelbett und zwei Sofas. Es gab einen großen, reich geschmückten Kamin und das übliche Waschbecken. An den Wänden hingen obszöne Gemälde, die Szenen aus einem Leichenhaus darstellten: Ein sabbernder Totengräber schändete in unterschiedlichen Stellungen die blasse Leiche eines schönen jungen Mädchens. Micky lehnte sich auf dem mit Samt überzogenen Sofa zurück. Außer einem seidenen Morgenmantel trug er nichts auf dem Leib. Henrietta an seiner Seite, nippte er an einem Brandy.
    Dem Mädchen wurde schon bald langweilig. »Gefallen dir diese Bilder?« fragte sie.
    Er zuckte mit den Schultern, antwortete aber nicht. Er wollte nicht mit ihr reden. Frauen um ihrer selbst willen interessierten ihn herzlich wenig. Der Geschlechtsakt als solcher war ein langweiliger mechanischer Prozeß. Was ihm am Sex gefiel, war die Macht, die ihm daraus erwuchs. Immer wieder hatten sich Frauen und Männer in ihn verliebt, und er war es nie müde geworden, sich ihrer Verliebtheit zu bedienen. Er beherrschte seine Opfer, beutete sie aus und demütigte sie. Selbst seine jugendliche Leidenschaft für Augusta Pilaster war zumindest teilweise dem Verlangen entsprungen, eine feurige wilde Stute zu bändigen und gefügig zu machen.
    Henrietta hatte ihm, so gesehen, nichts zu bieten: Sie zu beherrschen war keine Herausforderung; sie besaß nichts, wofür es sich gelohnt hätte, sie auszubeuten; und auch die Demütigung eines Menschen, der so tief gesunken war wie eine Hure, machte keinen Spaß. So rauchte er seine Zigarre und zerbrach sich den Kopf darüber, ob Edward kommen würde oder nicht. Die erste Stunde verstrich, dann die zweite. Mickys Hoffnungen schwanden. Ob es noch eine andere Möglichkeit gab, an Edward heranzukommen? Es war sehr schwierig, einen Mann zu erreichen, der nicht getroffen werden wollte. An seinem Wohnsitz würde es heißen, er sei »nicht zu Hause«, am Arbeitsplatz wäre er »unabkömmlich«. Micky konnte vor der Bank herumlungern und Edward auf dem Weg zum Mittagessen abpassen - aber das war würdelos, und Edward konnte ihn ohne weiteres ignorieren. Früher oder später würde man sich auf einem Empfang

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