Die Pfeiler der Macht
Atmosphäre sofort zu bemerken. »Was ist denn hier los?« fragte sie.
»Bring mir diesen verdammten Wisch, von dem du immer willst, daß ich ihn unterschreibe!« herrschte Edward sie an. »Was sagst du da?« fragte Augusta. »Was für einen ›Wisch‹?«
»Meine Einwilligung zur Annullierung der Ehe.« Augusta ergriff blankes Entsetzen, das sich rasch in grenzenlose Wut verwandelte. Schlagartig wurde ihr klar, daß das, was sich hier vor ihren Augen abspielte, keineswegs zufällig geschah, sondern Ergebnis einer sorgfältig geplanten Strategie war. Emily hatte es darauf angelegt, Edward so lange zu provozieren, bis er, nur um sie endlich loszuwerden, bereit war, alles zu unterschreiben. Und mit ihrem kompromißlosen Beharren darauf, daß Edward seine gesellschaftlichen Pflichten erfüllte, hatte sie, Augusta, ihr unbeabsichtigt noch in die Hände gespielt. Du hast dich manipulieren lassen wie die letzte Idiotin, dachte sie bitter. Und Emily hat ihr Ziel fast erreicht ... »Emily!« rief Augusta. »Bleib hier!« Emily entfernte sich lächelnd.
Augusta nahm ihren Sohn aufs Korn. »Du wirst der Annullierung nicht zustimmen, Edward!«
»Ich bin vierzig Jahre alt und Chef des Familienunternehmens, Mutter. Das Haus, in dem wir uns befinden, gehört mir. Du solltest mir keine Vorschriften mehr machen.«
Seine Miene zeigte einen mürrischen, trotzigen Ausdruck, und Augusta schoß der furchterregende Gedanke durch den Kopf, daß er entschlossen war, ihr zum erstenmal in seinem Leben die Stirn zu bieten.
Sie bekam es mit der Angst zu tun.
»Komm her, setz dich zu mir, Teddylein«, sagte sie mit sanfter Stimme.
Widerstrebend tat er, wie ihm geheißen.
Augusta wollte seine Wange streicheln, doch Edward zuckte vor ihrer Hand zurück.
»Du bist doch nicht in der Lage, selbst auf dich aufzupassen, Teddy«, fuhr Augusta fort, »das hast du nie gekonnt. Deswegen haben sich Micky und ich ja auch seit deiner Schulzeit so sehr um dich gekümmert.«
Er wirkte noch starrsinniger als zuvor. »Vielleicht wär's an der Zeit, endlich damit aufzuhören.«
Augustas Angst drohte sich in Panik zu verwandeln. Ehe sie antworten konnte, kehrte Emily mit einem amtlich aussehenden Dokument in der Hand zurück und legte es auf den Schreibtisch im maurischen Stil, wo Federhalter und Tinte schon bereitstanden. Augusta sah ihren Sohn an. War es möglich, daß er sich vor seiner Frau mehr fürchtete als vor seiner Mutter? In ihrer Erregung erwog sie, das Schriftstück an sich zu reißen, die Federhalter ins Feuer zu werfen und das Tintenfaß umzustoßen. Doch dann verwarf sie den Gedanken und nahm sich zusammen. Vielleicht war es besser, nachzugeben und so zu tun, als käme es auf die Unterschrift gar nicht so sehr an. Nur würde ihr das keiner abnehmen: Sie hatte unmißverständlich die Annullierung der Ehe untersagt. Kam sie dennoch zustande, so war sie, Augusta, vor aller Welt die Blamierte.
»Du wirst aus der Bank ausscheiden müssen, wenn du dieses Dokument unterzeichnest«, sagte sie zu Edward. »Ich wüßte nicht, warum«, erwiderte er. »Das ist ja nicht dasselbe wie eine Scheidung.«
»Die Kirche hat keine Einwände gegen eine Annullierung, wenn die angegebenen Gründe der Wahrheit entsprechen«, ergänzte Emily. Es klang wie ein Zitat; sie hatte sich offensichtlich informiert.
Edward setzte sich an den Tisch, wählte einen Federkiel und tauchte die Spitze in ein silbernes Tintenfaß. Augusta zog ihren letzten Trumpf. »Edward!« sagte sie mit zornbebender Stimme.
»Wenn du das unterschreibst, spreche ich nie wieder ein Wort mit dir!«
Edward zögerte nur kurz, dann führte er die Feder aufs Papier. Alle Anwesenden schwiegen. Edwards Hand bewegte sich, und das Kratzen der Feder auf dem Papier klang wie Donnerhall. Edward legte den Federkiel beiseite.
»Wie kannst du deiner Mutter so etwas nur antun?« fragte Augusta, und das Schluchzen, das ihre Frage begleitete, war echt. Emily streute Sand über die Unterschrift und nahm das Dokument an sich.
Augusta versperrte ihr den Weg zur Tür.
Reglos und wie betäubt starrten Edward und Micky die beiden
Frauen an.
»Gib mir das Papier!« forderte Augusta.
Emily trat einen Schritt näher an sie heran, hielt kurz inne und verabreichte ihr dann zur allgemeinen Verblüffung eine schallende Ohrfeige.
Der Schlag saß. Vor Schreck und Schmerz schrie Augusta auf und taumelte rückwärts.
Emily ging rasch an ihr vorbei, öffnete die Tür und verließ, das Dokument in Händen, den
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