Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
genähten Vorhänge. Sie erinnerte sich der übermenschlichen Anstrengungen, die die Gründung der Klinik sie und Rachel gekostet hatte - die Kämpfe mit den alteingesessenen Ärzten, den Gesundheitsbehörden, dem Rat des Stadtbezirks. Sie dachte daran, wie sie mit unermüdlichem Charme bei biederen Haushaltsvorständen und mäkelnden Pfarrern in der Umgebung antichambriert hatten. Daß sie es geschafft hatte, verdankte sie letztlich nur ihrer unbeirrbaren Hartnäckigkeit. Sie tröstete sich damit, daß es ihnen immerhin zwölf Jahre lang gelungen war, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Hunderten von Frauen hatten sie in dieser Zeit helfen können. Die ursprüngliche Idee jedoch, daß ihr Krankenhaus erst der Anfang sein sollte, die erste einer Vielzahl ähnlicher Geburtskliniken im ganzen Land, hatte sich nicht realisieren lassen. In diesem Punkt habe ich versagt, dachte sie.
    Sie unterhielt sich mit allen Frauen, die an diesem Tag geboren hatten. Die einzige, um die sie sich ein wenig Sorgen machte, war Miss Nobody. Sie war schmal und zierlich, und das Baby war sehr klein. Wahrscheinlich hat sie gehungert, um ihre Schwangerschaft vor der Familie zu verbergen, ging es Maisie durch den Kopf. Aus Erfahrung wußte sie, daß dies ziemlich häufig vorkam, und es verblüffte sie immer wieder, wie die Mädchen das durchhielten. Sie selbst war während der Schwangerschaft kugelrund geworden und hätte sie schon im fünften Monat nicht mehr verheimlichen können.
    Sie setzte sich auf die Bettkante der Unbekannten. Die junge Mutter stillte ihr Kind, ein kleines Mädchen. »Ist sie nicht wunderhübsch?« fragte sie.
    Maisie nickte. »Sie hat schwarze Haare - genau wie Sie.«
    »Meine Mutter hat die gleichen Haare.«
    Maisie streichelte das winzige Köpfchen. Wie alle Babys ähnelte das kleine Wesen Solly ... Ja, wirklich ... Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »O mein Gott!« rief sie. »Ich weiß, wer du bist!« Die junge Frau starrte sie an.
    »Du bist Ben Greenbournes Enkelin Rebecca, nicht wahr? Du hast die Schwangerschaft so lange, wie's ging, verheimlicht und bist vor der Niederkunft fortgelaufen.«
    »Wie hast du das herausgefunden? Du hast mich doch seit meinem zweiten Lebensjahr nicht mehr gesehen?«
    »Aber ich kenne deine Mutter sehr gut! Schließlich war ich mit ihrem Bruder verheiratet.« Kate war ihr gegenüber nie so arrogant gewesen wie der Rest der Familie Greenbourne. Waren die anderen nicht in der Nähe, verhielt sie sich sogar ausgesprochen freundlich.
    »Ich kann mich auch noch an deine Geburt erinnern. Du hattest ganz schwarze Haare - wie dein Töchterchen.«
    »Versprichst du mir, daß du mich nicht verraten wirst?« bat Rebecca ängstlich.
    »Ich verspreche dir, daß ich nichts ohne deine Zustimmung tun werde. Allerdings bin ich der Meinung, daß du deine Familie informieren solltest. Dein Großvater ist außer sich vor Sorge.«
    »Vor dem hab' ich am meisten Angst.«
    Maisie nickte. »Das kann ich gut verstehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß er ein hartherziger alter Griesgram ist. Aber wenn du mir gestattest, mit ihm zu reden, kann ich ihn vielleicht zur Räson bringen.«
    »Würdest du das wirklich tun?« fragte Rebecca mit jugendlichem Optimismus in der Stimme.
    »Selbstverständlich«, erwiderte Maisie. »Aber ich verrate ihm nicht, wo du bist - es sei denn, er verspricht, sich anständig zu benehmen.«
    Die junge Mutter schlug die Augen nieder. Dem Baby waren die Augen zugefallen, und es hatte aufgehört zu saugen. »Sie schläft«, sagte Rebecca.
    Maisie lächelte. »Weißt du denn schon, wie sie heißen soll?«
    fragte sie.
    »O ja, natürlich«, sagte Rebecca. »Sie heißt Maisie.«
     
    Ben Greenbournes Gesicht war tränennaß, als er aus dem Zimmer der Wöchnerin kam. »Ich lasse sie ein Weilchen mit Kate allein«, sagte er mit erstickter Stimme, zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich ohne großen Erfolg die Wangen ab. Zum erstenmal erlebte Maisie, wie ihr Schwiegervater die Selbstbeherrschung verlor. Er bot einen ziemlich kläglichen Anblick, doch Maisie hatte den Eindruck, es tue ihm sehr gut.
    »Komm mit in mein Büro«, sagte sie. »Ich mache dir eine Tasse Tee.
    Sie zeigte ihm den Weg und bat ihn, Platz zu nehmen. Schon der zweite Mann, der heute in diesem Sessel sitzt und weint, dachte sie.
    »Sind all diese jungen Frauen hier in der gleichen Situation wie Rebecca?« fragte der alte Herr.
    »Nicht alle«, antwortete Maisie. »Einige sind Witwen, andere wurden

Weitere Kostenlose Bücher