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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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den anderen Pilasters - nur gemietet hatte. Da die Miete für drei Monate im voraus bezahlt war, konnte Edward sich mit dem Umzug noch etwas Zeit lassen.
    Daß Micky das Bankhaus Pilaster zugrunde gerichtet und seine Familie in den Ruin getrieben hatte, schien Edward kaum zu kümmern. Seine Abhängigkeit von Micky war nur noch stärker geworden. Andere Angehörige der Familie Pilaster hatte Micky seit dem Zusammenbruch nicht mehr gesehen.
    Edward öffnete die Tür in einem fleckigen Morgenmantel aus Seide. Er führte Micky hinauf ins Schlafzimmer, wo ein Kaminfeuer brannte. Es war erst elf Uhr vormittags, doch Edward hatte sich bereits eine Zigarre angezündet und trank Whisky. Der Hautausschlag hatte sich über sein ganzes Gesicht verbreitet und ließ bei Micky Zweifel daran aufkommen, ob Edward wirklich der geeignete Komplize wäre. Der Ausschlag machte ihn auffällig. Aber Micky war nicht wählerisch; dazu fehlte ihm einfach die Zeit. Er mußte sich wohl oder übel auf Edward verlassen. »Ich verlasse das Land«, sagte Micky.
    »O Micky, nimm mich bitte mit!« rief Edward und brach in
    Tränen aus.
    »Was, zum Teufel, ist denn mit dir los?« fragte Micky barsch. »Ich muß sterben«, erwiderte Edward. »Laß uns irgendwohin ziehen, wo ich in aller Ruhe mit dir zusammenleben kann, bis es vorüber ist.«
    »Was soll der Quatsch? Du stirbst nicht, du hast bloß eine
    Hautkrankheit, das ist alles.«
    »Es ist keine Hautkrankheit, sondern Syphilis.« Micky blieb vor Schreck die Luft weg. »Jesus und Maria! Dann hab' ich die vielleicht auch!«
    »Würde mich nicht wundern. So oft, wie wir bei Nellie's gewesen sind ...«
    »Aber Aprils Mädchen gelten doch als sauber!«
    »Huren sind nie sauber.«
    Micky kämpfte die panische Angst nieder, die in ihm aufgestiegen war. Wenn ich noch länger in London bleibe, um mich ärztlich untersuchen zu lassen, ende ich wahrscheinlich am Strick, dachte er. Ich muß noch heute das Land verlassen ... Er wußte, daß das Schiff in ein paar Tagen in Lissabon anlegen würde, und beschloß, dort einen Arzt aufzusuchen. Es blieb ihm gar keine andere Wahl. Im übrigen war es keineswegs ausgemacht, daß er sich tatsächlich angesteckt hatte. Er war von wesentlich robusterer Gesundheit als Edward. Außerdem wusch er sich nach Sex regelmäßig; Edward war da längst nicht so gewissenhaft. Edward präsentierte sich in einem so erbarmungswürdigen Zustand, daß Micky schon sehr bald den Gedanken aufgab, sich von ihm aus dem Land schmuggeln zu lassen. Hinzu kam, daß er nicht gewillt war, einen todkranken Syphilispatienten mit nach Cordoba zu nehmen. Dennoch brauchte er einen Komplizen. Oder eine Komplizin. Die einzige Kandidatin, die ihm blieb, war Augusta.
    Sie war nicht so verläßlich wie Edward, der immer bereitwillig auf all seine Vorschläge und Anweisungen eingegangen war; Augusta war unabhängig. Aber sie war seine letzte Chance. Micky wandte sich zum Gehen. »Bitte, verlaß mich nicht!« flehte Edward.
    Micky blieb keine Zeit für Sentimentalitäten. »Ich kann mir doch keinen Verreckenden ans Bein binden«, raunzte er. Edward blickte auf, und ein böses Grinsen huschte über sein Gesicht. »Wenn du mich nicht mitnimmst ...«
    »Nun?«
    »... dann geh' ich zur Polizei und sag' ihr, daß du Peter Middleton, Onkel Seth und Solly Greenbourne ermordet hast.« Augusta mußte ihm von der Sache mit Seth erzählt haben. Micky starrte seinen alten Freund an. Eine Jammergestalt, dachte er und fragte sich, wie er Edward so lange hatte ertragen können. Die Aussicht, ihn jetzt endlich loszuwerden, stimmte ihn froh. »Ja, geh du ruhig zur Polizei«, sagte er. »Die ist ohnehin schon hinter mir her, weil ich Tonio Silva umgebracht habe. Ob ich wegen vier Morden oder nur wegen eines einzigen hänge, bleibt sich letztlich gleich.« Er ging, ohne sich noch einmal umzusehen. In der Park Lane fand er eine Droschke und nannte dem Kutscher sein Fahrtziel: »Kensington Gore, Whitehaven House.« Unterwegs machte er sich Gedanken über seine Gesundheit. Bisher waren ihm keinerlei Symptome aufgefallen
    - kein Ausschlag, keine unerklärlichen Schwellungen oder Knoten an den Genitalien. Endgültige Gewißheit gab ihm das nicht. Er würde abwarten müssen. Dieser verdammte Edward, dachte er. Soll er doch zur Hölle fahren!
    Auch die bevorstehende Begegnung mit Augusta bereitete ihm Kopfzerbrechen. Seit dem Zusammenbruch der Bank hatte er sie nicht mehr gesehen. Ob sie ihm helfen würde? Er wußte, daß es ihr immer

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