Die Pfeiler der Macht
schwergefallen war, ihren sexuellen Hunger auf ihn zu zügeln. Ein einziges Mal, in jener gespenstischen Situation am Totenbett des alten Seth, hatte sie ihrer Leidenschaft nachgegeben, und auch er war damals furchtbar scharf auf sie gewesen. Während jedoch in ihm das Feuer, das sie einst in ihm entfacht hatte, längst erkaltet war, schien es in ihr um so heißer zu lodern. Er hoffte es jedenfalls - schließlich wollte er sie bitten, sich mit ihm aus dem Staub zu machen.
Nicht ihr Butler öffnete ihm, sondern eine ungepflegte Frau in einer Küchenschürze. Micky fiel auf, daß die Eingangshalle nicht ganz sauber war. Augusta steckte also in Schwierigkeiten. Um so besser, dachte er, dann wird sie eher geneigt sein, sich mein e m Fluchtplan anzuschließen ...
Augusta ließ sich jedoch nichts anmerken. In der für sie typischen gebieterischen Haltung betrat sie den Salon. Sie trug eine violette Seidenbluse mit Keulenärmeln und einen schwarzen gebauschten Rock mit schmaler geraffter Taille. Sie war in ihrer Jugend eine atemberaubende Schönheit gewesen und selbst heute, mit achtundfünfzig, noch so attraktiv, daß sich die Leute nach ihr umdrehten. Micky rief sich die Lust ins Gedächtnis zurück, die er als Sechzehnjähriger für sie empfunden hatte - aber sie war fort, endgültig dahin. Er würde so tun müssen, als ob. Sie reichte ihm nicht die Hand. »Was führt dich hierher?« fragte sie kühl. »Du hast mich und meine Familie ruiniert.«
»Ich wollte das nicht ...«
»Du hast bestimmt gewußt, daß dein Vater einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen wollte.«
»Aber ich wußte nicht, daß deshalb der Kurs der Cordoba- Anleihen verfallen würde. Wußten Sie das?« Sie zögerte. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung gehabt. Ihr Panzer zeigte einen ersten Riß, und Micky bemühte sich, ihn zu vergrößern. »Wären mir die Folgen bewußt gewesen, hätte ich es nie getan. Ich hätte mir eher die Kehle durchgeschnitten, als Ihnen etwas Böses anzutun.« Er merkte, daß sie ihm nur allzugern geglaubt hätte.
Aber sie sagte: »Weil du unbedingt diese zwei Millionen Pfund haben wolltest, hast du Edward dazu überredet, die Teilhaber zu hintergehen.«
»Ich hielt die Bank für so reich, daß ihr das nichts ausmachen würde.«
Augusta wandte den Blick ab. »Mir ging's genauso«, sagte sie leise.
Er nutzte seinen Vorteil: »Sei's, wie es sei, das ist jetzt alles ohnehin bedeutungslos. Ich verlasse England noch heute und werde wahrscheinlich nie wieder zurückkehren.«
Sie sah ihn an. In ihren Augen stand plötzlich Furcht, und Micky wußte, daß er gewonnen hatte. »Warum?« fragte sie. Er hatte nicht die Zeit, noch lange um den heißen Brei herumzureden. »Ich habe vorhin jemanden erschossen«, sagte er. »Die Polizei ist hinter mir her.«
Sie hielt die Luft an und ergriff seine Hand. »Wen?«
»Antonio Silva.«
Augusta war ebenso erregt wie entsetzt. Ihr Gesicht bekam plötzlich Farbe, ihre Augen leuchteten auf. »Tonio! Aber warum denn?«
»Er wurde mir gefährlich. Ich habe eine Passage nach Südamerika gebucht. Der Dampfer legt am Abend in Southampton ab.«
»So bald schon!«
»Ich habe keine andere Wahl.«
»Dann ist das also dein Abschiedsbesuch«, sagte sie niedergeschlagen. »Nein.«
Sie blickte zu ihm auf. War da ein Hoffnungsschimmer in ihren Augen? Micky zögerte, dann riskierte er es. »Ich möchte, daß Sie mich begleiten.«
Ihre Augen weiteten sich, und sie trat einen Schritt zurück. Micky gab ihre Hand nicht frei. »Als mir klar wurde, daß ich verschwinden muß - und noch dazu so schnell -, da kam mir etwas zu Bewußtsein, was ich mir schon vor langer Zeit hätte eingestehen müssen ... Aber ich denke, Sie haben es schon immer gewußt. Ich liebe Sie ... Ich liebe dich, Augusta.«
Er spielte seine Rolle und studierte dabei Augustas Gesicht wie ein Seemann die Meeresoberfläche. Im ersten Moment wollte sie die Erstaunte mimen, besann sich aber rasch eines anderen. Sie deutete ein zufriedenes Lächeln an und ließ ihm ein schamhaftes, fast jungmädchenhaftes Erröten folgen. Zuletzt verriet ihm ihr berechnender Blick, daß sie überlegte, was sie zu gewinnen und zu verlieren hatte.
Sie war noch immer unentschlossen.
Er legte seine Hand auf ihre korsettierte Taille und zog sie sanft an sich. Augusta wehrte sich nicht, aber ihr unverändert berechnender Blick sagte ihm, daß sie sich noch nicht entschieden hatte.
Als sein Gesicht dem ihren ganz nahe war und ihre Brüste die Aufschläge seines
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