Die Pfeiler der Macht
oder Micky ermordet worden sein. Oder von beiden.
Augusta war schon wieder unzufrieden mit ihrer japanischen Einrichtung. Überall im Salon standen orientalische Wandschirme und eckige Möbelstücke auf Spindelbeinen, und in schwarz lackierten Vitrinen waren japanische Fächer und Vasen ausgestellt. Das alles war sehr teuer gewesen, doch mittlerweile tauchten in den Geschäften an der Oxford Street bereits billige Kopien auf, so daß man japanisches Mobiliar längst nicht mehr nur in den feinsten Häusern sah. Bedauerlicherweise weigerte sich Joseph strikt, schon so bald wieder eine neue Einrichtung anzuschaffen. Augusta blieb daher nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden, daß sie einige Jahre lang mit Möbeln auskommen mußte, die von Tag zu Tag gewöhnlicher wurden.
Im Salon hielt Augusta an jedem Wochentag zur Teezeit Hof. Im allgemeinen trafen zuerst die Damen ein: ihre Schwägerinnen Madeleine und Beatrice sowie ihre Tochter Clementine. Die Teilhaber kamen meistens kurz nach fünf Uhr von der Bank: Joseph, der alte Seth, Madeleines Ehemann George Hartshorn, gelegentlich auch Samuel. Lag nicht zuviel Arbeit an, erschienen auch die jungen Herren: Edward, Hugh und der junge William. Der einzige regelmäßige Teestundengast, der nicht zur Familie gehörte, war Micky Miranda. Sporadisch nahmen durchreisende Methodistenpfarrer an der Teestunde teil, darunter auch Missionare, die um Spenden zur Bekehrung der Heiden in der Südsee, in Malaya und Japan baten. Das Land der aufgehenden Sonne hatte sich erst vor kurzem dem Westen geöffnet.
Damit die Gäste nicht ausblieben, gab sich Augusta immer große Mühe mit ihren Teestunden. Sämtliche Pilasters liebten Süßigkeiten - also sorgte sie dafür, daß stets genügend Korinthenbrötchen und Kuchen auf dem Tisch standen. Dazu gab es die erlesensten Teesorten aus Assam und Ceylon. Alle bevorstehenden familiären Ereignisse wie Ferienreisen oder Hochzeiten wurden während der Teestunde geplant und besprochen. Wer nicht regelmäßig kam, war folglich schon bald nicht mehr auf dem laufenden. Es ließ sich allerdings nicht vermeiden, daß immer wieder mal der ein oder andere Teegast nach Unabhängigkeit strebte. Das jüngste Beispiel dafür hatte Beatrice geliefert, die Frau des jungen William. Nachdem ihr Augusta vor etwa einem Jahr wiederholt klargemacht hatte, daß ihr ein bestimmter Kleiderstoff partout nicht stehe, war Beatrice - die sich den Stoff persönlich ausgesucht hatte - den Teestunden ferngeblieben. Augusta pflegte in solchen Fällen die Abtrünnigen eine Zeitlang unbehelligt zu lassen, bis sie sie schließlich mit einer außergewöhnlich großzügigen Geste in den Schoß der Familie zurückholte. Bei Beatrice war ihr dies mit einer kostspieligen Geburtstagsfeier für deren alte Mutter gelungen. Die Dame war zwar schon nahezu senil und in Gesellschaft kaum noch vorzeigbar, doch beschloß Beatrice aus lauter Dankbarkeit, die Sache mit d e m Kleiderstoff zu vergessen - und genau darauf hatte Augusta spekuliert.
Bei ihren Teestunden fand Augusta heraus, was die Familie bewegte und was in der Bank vor sich ging. Zum derzeitigen Zeitpunkt interessierte sie sich vor allem für den alten Seth, der trotz seiner angegriffenen Gesundheit keinerlei Neigung zeigte, sich aus den Geschäften zurückzuziehen. Augusta hatte unterdessen mit großer Sorgfalt alle Familienmitglieder dahingehend bearbeitet, daß sie Samuel nicht mehr für den Posten des Seniorpartners in Erwägung zogen. Doch der alte Seth durchkreuzte nun mit seiner Eigensinnigkeit und Zähigkeit all ihre Pläne. Es war zum Verrücktwerden. Der Juli näherte sich seinem Ende, und in London wurde es merklich stiller. Um diese Jahreszeit verließ die Aristokratie die Stadt und begab sich auf ihre Segeljachten in Cowes oder in ihre Jagdhütten in Schottland. Man pflegte sich bis nach Weihnachten auf dem Lande aufzuhalten und dort Vögel abzuknallen, Fuchsjagden zu veranstalten und dem Rotwild nachzuspüren. Erst zwischen Februar und Ostern kehrte man allmählich in die Hauptstadt zurück, und im Mai war die Londoner Saison in vollem Gange. Die Pilasters hielten sich nicht an diesen Zeitplan. Zwar waren sie weitaus reicher als die meisten Adligen, doch hatten sie als Geschäftsleute anderes im Sinn, als die Hälfte des Jahres damit zu vertun, in Feld und Wald Tieren hinterherzulaufen. Immerhin ließen sich die Teilhaber gewöhnlich dazu überreden, den größten Teil des Monats
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