Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
diesem Abend ging es um alles oder nichts: Wurde Micky erwischt, so war nicht nur sein Plan, Tonio in den Ruin zu treiben, gescheitert. Betrug beim Kartenspiel galt in England als das schlimmste Verbrechen, dessen sich ein Gentleman schuldig machen konnte: Seine Clubs forderten ihn zum Austritt auf; seine Freunde ließen sich verleugnen, wenn er sie besuchen wollte, und begegnete man ihm auf der Straße, wechselte niemand mehr ein Wort mit ihm. Micky waren nur wenige Fälle bekannt, bei denen tatsächlich ein Engländer erwischt worden war, und immer hatte der Übeltäter das Land verlassen und in einer unzivilisierten fernen Kolonie wie Malaya oder Hudson Bay noch einmal von vorne beginnen müssen. Mickys eigenes Schicksal in diesem Fall war vorgezeichnet: Er würde nach Cordoba zurückkehren, fortan die Schikanen seines älteren Bruders erdulden und den Rest seines Lebens als Rinderzüchter verbringen müssen. Allein der Gedanke daran erregte Übelkeit in ihm. Lief heute abend jedoch alles nach Plan, so winkte ein Lohn, dessen Auswirkungen nicht weniger dramatisch waren als die Risiken.
    Er tat es nicht nur Augusta zuliebe, obwohl es eines seiner Hauptmotive war - schließlich sicherte sie sein Entree in die Gesellschaft der Reichen und Mächtigen Londons. Er tat es außerdem, weil er Tonios Posten haben wollte.
    Papa hatte gesagt, daß er in Zukunft von zu Hause kein Geld mehr bekommen würde. Er mußte also selbst etwas verdienen. Tonios Stelle war geradezu ideal. Obwohl nur mit wenig Arbeit verbunden, würde sie ihm, Micky, das Leben eines Gentleman ermöglichen. Zudem war sie eine gute Ausgangsposition für höhere Stufen auf der Karriereleiter. Langfristig war sogar der Botschafterposten drin. Und habe ich erst einmal den, dachte Micky, brauche ich mich nirgendwo mehr zu verstecken. Selbst mein Bruder wird es dann nicht mehr wagen, verächtlich auf mich herabzusehen.
    Micky, Edward, Solly und Tonio dinierten im Cowes, ihrem Lieblingsclub. Schon gegen zehn Uhr saßen sie alle im Spielzimmer. Zwei andere Spieler aus dem Club, die von den hohen Einsätzen gehört hatten, schlossen sich ihnen am Bakkarattisch an: Captain Carter und Vicomte Montagne. Montagne war ein Trottel, Carter dagegen ein ziemlich harter Brocken. Den muß ich im Auge behalten, dachte Micky.
    Etwa dreißig Zentimeter vom Rand der Tischplatte entfernt war eine durchgehende weiße Linie aufgemalt. Außerhalb dieser Umrandung hatte jeder Spieler einen Stapel Goldsovereigns vor sich liegen. Sobald das Geld die Linie überschritt, galt es als gesetzt. Den ganzen Tag über hatte Micky so getan, als spräche er intensiv dem Alkohol zu. Beim Lunch hatte er seine Lippen mit Champagner befeuchtet, den Inhalt des Glases jedoch heimlich ins Gras gekippt. Im Zug, auf der Rückfahrt nach London, nahm er mehrfach die Flasche, die Edward ihm darbot, hielt den Flaschenhals jedoch jedesmal mit der Zunge verschlossen. Beim Abendessen hatte er sich ein wenig Ciaret eingeschenkt und das Glas zweimal nachgefüllt, ohne auch nur einen einzigen Schluck zu trinken. Jetzt bestellte er sich unbemerkt ein Ginger Ale, ein Bier, das wie Brandy mit Soda aussah. Die raffinierten Kartentricks, mit denen er Tonio Silva erledigen wollte, traute er sich nur nüchtern zu. Nervös leckte er sich die Lippen, konzentrierte sich und versuchte, die Ruhe zu bewahren.
    Bakkarat war das Lieblingsspiel aller Falschspieler. Micky hielt es für möglich, daß es nur erfunden worden war, um entsprechend Gerissenen die Chance zu geben, reichen Tölpeln das Geld aus der Tasche zu ziehen.
    Der erste Vorteil bestand darin, daß es sich um ein reines Glücksspiel handelte, das weder Können noch eine bestimmte Strategie erforderte. Die Spieler erhielten jeweils zwei Karten und zählten die Augen zusammen: Eine Drei und eine Vier ergaben sieben, eine Zwei und eine Sechs acht Augen. Betrug die Summe mehr als neun, so galt nur die letzte Ziffer: aus fünfzehn wurde fünf, aus zwanzig null. Die höchste Augenzahl war neun. Ein Spieler mit einer niedrigen Summe durfte eine dritte Karte ziehen, die jedoch für alle sichtbar aufgedeckt werden mußte. Der Bankhalter teilte nur drei Blatt aus: an die Spieler zu seiner Linken und zu seiner Rechten sowie an sich selbst. Die Wetten wurden entweder auf die linke oder die rechte Hand abgeschlossen. Der Bankhalter zahlte für jedes Blatt, das höher war als sein eigenes.
    Der zweite große Vorteil des Bakkarats bestand aus Sicht des Falschspielers darin, daß

Weitere Kostenlose Bücher